Es klingt nach einer Zeit in der Breschnew und Reagan noch Protagonisten der Weltpolitik waren, doch auch zwischen Bewerbern und Recruitern ist ein „Wettrüsten“ ausgebrochen. Nur geht es hierbei nicht um die Vormachtstellung in der Welt, sondern um die besten Jobs und Köpfe.
Wer sich als Recruiter auf XING-Profile verlässt, kann schnell einen Bären aufgebunden bekommen. Der Projektmanagerposten entpuppt sich schnell als Gefälligkeit des WG-Kollegen mit seiner Ein-Mann-Mediendesignbutze. Der frühere „Chef“ gibt dabei auch gerne erstklassische Referenzen: „alle Aufgaben wurden nicht nur stets zur vollsten aller vollen Zufriedenheiten erfüllt, sondern dazu noch ein Beitrag für den Welt- oder zumindest Abteilungsfrieden geleistet.“ Bei soviel Kompetenz wird dem Social-Media-Recruiter sicher ganz schnell der Mund wässrig. Wer als Bewerber auf die legendäre Schwächenfrage von seiner extraordinären Perfektion schwadroniert, erntet schon seit geraumer Zeit nur noch ein mitleidiges Lächeln. Aber auch die indirekte Variante, was „die besten Freunde über Sie sagen würden“ wird souverän nach einem halben Bücherregal an Ratgeberliteratur parliert. Die Frage verkommt zur Persiflage, das Interview zur Farce.
Der Grundkonflikt: Die Bewerber dieser Welt wollen nicht nur ein bezahltes Auskommen, sondern in der Regel auch Anerkennung, Status, Selbstverwirklichung oder alle anderen Dinge, die die Marx’sche Theorie der gemeinen Erwerbsarbeit abspricht. Da der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt jedoch hart ist und in Stellenanzeigen jeder Hausmeisterposten zum „Facility Manager“ aufgepimpt wird, ist aus dem guten alten Studentenleben ein Wettlauf aus Praktika, Auslandsaufenthalten und sozialen Engagements gemacht worden. Da ist die Verlockung groß, selbst die vernebelte Auszeit am Strand von Bombay Beach zur Sprachreise upzugraden, um nicht gleich in der ersten Bewerbungsrunde als Minderleister abklassifiziert zu werden. Wer soll es einem verübeln, wenn der Sachbearbeiter plötzlich „Projektmanger“ heißt und die Voraussetzung für ein Praktika ein Praktika ist (was in Zügen entfernt an den Hauptmann von Köpenick erinnert). Recruitern ist diese Entwicklung jedoch nicht entgangen. Da Bewerber zunehmend aufrüsten, halten Recruiter natürlich in gleicher Weise entgegen. Immerhin ist in alter Rhetorik zwar nicht der Krieg der Sterne aber doch der „War of Talents“ ausgebrochen. Also werden die Anforderungen weiter heraufgeschraubt, vor jede im Stellenprofil noch so untergeordnete Kompetenzdimension ein „excellent“ geklebt und diese mit einer Armada an Testverfahren, Interviewtechniken und Arbeitsproben abgeprüft.
Katalysator Arbeitsmarkt Ein Katalysator in diesem Prozess ist die Arbeitsmarktsituation. Gibt es in einem Bereich ein entsprechendes Überangebot an Arbeitskräften, wird der Prozess beschleunigt. Bewerber müssen sich von zahlreichen Mitbewerbern absetzen. Unternehmen können dagegen aus einem großen Pool an potenziellen Bewerbern schöpfen, Gleichzeitig wird es jedoch immer schwieriger wegen der oben beschriebenen Mechanismen zwischen Spreu und Weizen zu trennen. Auf der anderen Seite werden in Bereichen, in denen es einen Mangel gibt, überhöhte Ansprüche heruntergeschraubt (muss jeder Systemadministrator Informatik studiert haben, wenn es einen entsprechenden Ausbildungsberuf gibt?) oder versucht, den Talentpool zu erweitern. Dies kann u.a. durch Personalmarketing geschehen. Eine weitere Möglichkeit den Mangel zu bekämpfen besteht darin, sich mit dem zufriedenzugeben, was man hat und konsequent in Aus- und Weiterbildung zu investieren.
Pure Polemik oder wissenschaftliche Evidenz? Am Beispiel der Testklasse der Arbeitsproben (work sample tests), zu der laut amerikanischer Fachliteratur auch Assessment Center gehören, lässt sich der Prozess auch empirisch nachzeichnen. Eine Forschergruppe um Philip Roth fand, im Gegensatz zu seinem Namensvetter in der Literatur, nicht den menschlichen, sondern einen für die Praxis höchst relevanten Makel des Assessment Centers. Seit den siebziger Jahren ist die Validität von Arbeitsproben im Sinkflug. Ähnliche Befunde gibt es auch für Integritättests. Hier hat sich mittlerweile bis zum letzten Chief Executive Junior & Senior Cashier Manager (früher: Kassierer m/w) herumgesprochen, dass bei der Frage ob Stehlen zu den bevorzugenden Freizeitaktivitäten gehört, „nein“ anzukreuzen ist. Eine Forschergruppe der Cornell University hat unlängst das Fälschen von Lebensläufen auf LinkedIn untersucht. Sicherlich gibt es in fünf Jahren auch vergleichbare Ergebnisse zu XING bei der Trägheit der deutschen Forschungslandschaft.
Circulus vitiosus Der Wettlauf zwischen Recruitern und Bewerbern muss nicht zwangsläufig zur Farce eines Wettrüstens werden. Solange der Arbeitsmarkt einer der Hauptkatalysatoren der Entwicklung ist, wird die Verschiebung von Angebot und Nachfrage an Arbeitskraft, allein durch die zu erwartende demographische Entwicklung wieder in geordnete Bahnen geleitet. Eine andere Möglichkeit besteht natürlich darin, Stellenausschreibungen und Stellenprofile wieder an den tatsächlichen Anforderungen der Tätigkeit festzumachen und die Lernfähigkeit der potenziellen Arbeitnehmer nicht zu unterschätzen. Hierzu gehört auch die Transparenz des Arbeitgebers, genau zu kommunizieren, was verlangt wird und welche Tätigkeiten spätere Arbeitnehmer erwarten können (realistic job preview). Denn es besteht große Fluktuationsgefahr, wenn Bewerber später von der Tätigkeit enttäuscht sind oder nach wenigen Jahren das nächste, etwas höher dotierte Angebot annehmen. Wer selbstoptimierte Opportunisten durch überhöhte Anforderungen anzieht, muss sich darüber nicht wundern. Schon ein altes Sprichwort besagt: Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es auch wieder hinaus. Andernfalls wird die Personalauswahl langfristig zur institutionalisierten Farce aus erwartbaren Kompetenzprofilen, Tests und Fragen, auf die einstudierte Phrasen, Kreuze und Antworten folgen.
Inspiriert wurde diese Polemik durch: Bangerter, A., and Nicolas Roulin, N., & König, C. J. (2012). Personnel selection as a signaling game. Journal of Applied Psychology, 97, 719–738.