Sechs Schritte, um mit Kritik souverän umzugehen
Kritik nicht persönlich zu nehmen ist schwer. Sie nagt oft an unserem Selbstwertgefühl. Konstruktive Kritik bietet uns die Chance, zu lernen und uns persönlich weiterzuentwickeln. Nicht jede Kritik ist wohlwollenden Ursprungs, doch können wir auch aus dieser lernen und daran wachsen.
„Das ist jetzt nicht persönlich gemeint, aber …“ Wer hat das noch nie gehört? Der Ratschlag, man solle Kritik ernst, aber nicht persönlich nehmen, ist theoretisch richtig, praktisch aber oft schwer umsetzbar. Viele von uns reagieren zunächst emotional, egal wie sachlich oder berechtigt die Kritik ist. So wenig wir es mögen, kritisiert zu werden, so sehr hilft es uns, wenn wir lernen, mit Kritik umzugehen. Die folgenden sechs Fragen helfen Ihnen zum einen, aus dem Strudel negativer Gefühlen herauszukommen, und zum anderen, aus der Kritik zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
1. Könnte diese Kritik für mich wertvoll sein?
Nehmen Sie sich zunächst einen Moment und entscheiden Sie, ob es sich lohnen könnte, die Kritik anzunehmen. Vielleicht ist etwas Wahres dran, etwas Lohnenswertes, über das man nachdenken könnte. Manche Äusserungen sind verletzend, weil sie unglücklich formuliert sind – da lohnt es sich, erst einmal durchzuatmen. Eine E-Mail oder SMS muss nicht sofort beantwortet werden. In einem Gespräch muss man nicht prompt reagieren. Eine kurze Denkpause ist in Ordnung, und falls man mehr Zeit braucht, kann man nachfragen, ob man die Kritik richtig verstanden hat, und das Gesagte einfach wiederholen.
Entscheidend ist, dass Sie bestimmen, wie viel Raum Sie dem Kritiker geben. Ist es eine anonyme Kritik in einer Social-Media-Plattform, dann wenig ‒ am besten überhaupt keinen. Doch wenn sie von jemandem kommt, den Sie kennen und schätzen, lohnt sich ein näherer Blick, denn der andere gibt Ihnen sicherlich nicht ohne guten Grund ein Feedback. Erhalten Sie Kritik im Arbeitsumfeld, hilft es, dieser grundsätzlich offen zu begegnen, denn Sie beweisen so Ihre persönliche und soziale Kompetenz und können sich dadurch vielleicht sogar fachlich wie auch persönlich weiterentwickeln. Das heisst nicht, dass Sie mit jeder Kritik einverstanden sein müssen. Möglicherweise können Sie mit einem sachlichen Dialog, der frei von Rechtfertigungen ist, die Wahrnehmung von sich und Ihrer Arbeit positiv beeinflussen. Falls nicht, hilft es, wenn Sie die Meinung des Kritikers als ‚seine‘ Meinung ansehen und sich gelassen klarmachen: Man kann es auch anders sehen.
2. Was ist die Grundeinstellung des anderen?
Nicht jede Kritik ist gleich. Sie hängt stark von der Person, von ihren Kommunikationsfähigkeiten und ihrer grundsätzlichen Denkweise und Geisteshaltung ab. Entspringt die Kritik aus einer wohlwollenden Haltung, bei der sich der andere um Sie sorgt, ist sie von grossem Wert. Kommt sie von einem notorischen Nörgler oder Schwarzseher, sollte man sich gut überlegen, ob und wie viel man davon annimmt. Sehr oft sagen dessen kritische Worte mehr über ihn und seine Weltanschauung aus, als dass sie etwas mit Ihnen zu tun haben.
3. Was genau an der Kritik nehme ich zu persönlich?
Machen Sie sich dabei klar: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Jeder macht Fehler, und auch bei Top-Experten läuft mal was schief. Eine Frage ist, ob wir deswegen so verletzt und gekränkt reagieren, weil uns vielleicht unser innerer Kritiker schon lange vor der Kritik unbewusst verurteilt hat? Inwieweit würde uns die Kritik treffen, wenn wir restlos von uns und unserem Tun überzeugt wären?
Manchmal ist Kritik so emotionsüberladen, dass ein objektiver Blick kaum möglich ist. Wenn uns eine Kritik sehr trifft, hilft Schreiben, aus der negativen Spirale herauszukommen, statt sich durch Grübeln oder Schimpfen noch weiter runterziehen zu lassen. Schreiben Sie auf, was geschehen ist, was an der Kritik berechtigt ist und was nicht. Schreiben Sie sachlich, und wechseln Sie auch mal die Perspektive, indem Sie aus Sicht des Kritikers schreiben. Niedergeschriebene Worte schwächen die Wucht der negativen Gefühle ab, weil man durch das Schreiben die Gedanken entschleunigt. Zudem hilft der sachliche Schreibstil bei der Ursachenanalyse.
4. Was von der Kritik kann ich für mich persönlich nutzen?
Kritik eröffnet uns Einblicke über uns und unser Tun, die uns vielleicht bisher verborgen waren. Das Wissen über blinde Flecken stellt eine Chance dar, in unserer Persönlichkeit zu wachsen, zu lernen oder uns zu verändern. Selbst bei unfairer Kritik mag es sich lohnen, hinzuhören und nach den Gründen für die fehlende Sachlichkeit zu suchen. Vielleicht wurde die Kritik in einem hochemotionalen Moment gesagt, so dass man viele Äusserungen schlichtweg in den Müll werfen kann? Es gibt Menschen, die selten und ungern kritisieren. Wenn sie sich dann doch mal äusseren, kommt das oftmals einem Vulkanausbruch gleich. Reagieren Sie lieber wie ein Brückenpfeiler im Fluss: schauen Sie den Unrat an, der auf Sie zukommt, und lassen Sie das meiste an sich vorbeiziehen.
5. Was kann ich für einen zukünftigen Erfolg nutzen?
Egal, wie hart die Kritik sein mag, es liegt an Ihnen, wie Sie reagieren. Es ist nie schön, wenn man viel Engagement in ein Projekt gesteckt hat und dann nur Kritik erntet. Positiv daran ist, dass der andere sich zumindest wirklich damit beschäftigt hat. Es gibt sicher den einen oder anderen Punkt, den Sie aufgreifen können, um sich oder Ihre Arbeit zu verbessern. Das Feedback ist eine gute Möglichkeit, eine bessere Arbeit abzuliefern und Ihre Fähigkeiten zu steigern.
6. Lohnt es sich, dem anderen für die Kritik zu danken?
Nicht jeder hat es verdient, dass Sie ihm für seine Kritik danken. Wenn der andere aus besten Absichten heraus gehandelt hat, kann man sich für dessen Mühe jedoch bedanken. Auch wenn vielleicht nicht jede Formulierung optimal gewählt wurde, kann man die Anstrengung des anderen würdigen, denn auch er oder sie weiss, wie sich Kritik anfühlt. Mit diesem Wissen kann man vielleicht sogar wohlwollend beide Augen zudrücken, wenn der andere allzu hart kritisiert hat. So wie wir nicht gelernt haben, Kritik anzunehmen, hat der Grossteil von uns nicht gelernt, konstruktive Kritik zu geben. Vielen ist das einfach nur unangenehm, und sie wollen die unschöne Situation so schnell wie möglich hinter sich bringen. Indem Sie ruhig reagieren, ermöglichen Sie dem anderen beim nächsten Mal, die Kritik souveräner anzubringen. In dem Zusammenhang spricht nichts dagegen, die Kritik zunächst anzuhören und, statt sofort zu reagieren, um ein Folgegespräch zu bitten und das Gesagte erst einmal sacken zu lassen. Mit etwas zeitlichem Abstand erhöht sich die Chance für ein früchtetragendes Gespräch, statt möglicherweise durch Abwehr und Gegenargumente Porzellan zu zertrümmern.