Nach wie vor rollt die Burnout-Welle durch unser Land. Der Ton hat sich jedoch etwas verändert: das Ausbrennen nervt, wird lästig. Die Berichterstattung wird zunehmend zynisch. Das passt zum Thema Burnout wie die Faust aufs Auge: Zynismus ist eines der klassischen Burnout-Symptome. „Noch jemand ohne Burnout?“ lautete der Leitartikel der ZEIT vom 1. Dezember 2011. Und das Satire-Magazin TITANIC bietet im gleichen Monat Tipps und Selbsttests an, die gar nicht so weit entfernt von den Inhalten der ernstgemeinten Magazine sind.
Trendthema: Burnout
Viele Coaches, Berater, Ärzte und Heilpraktiker entdecken einen riesigen neuen Markt für sich. Burnout-Fortbildungen und -Coachings werden angeboten. Alle sind plötzlich auf Burnout spezialisiert. Auch die, deren Spezialisierung noch vor einem Jahr eine ganz andere war. Ich lese irritiert jeden neu erscheinenden Artikel über Burnout und wundere mich, wann mal die wirklichen Experten zu Wort kommen: die, die schon seit vielen Jahren zum Thema Burnout forschen und schreiben - und nicht erst in den letzten zwei, drei Jahren auf den Zug aufgesprungen sind.
Einer davon ist Prof. Dr. Matthias Burisch von der Uni Hamburg, dessen 7-Phasen-Modell ich hier erläutern möchte. Die erste Auflage seines Buchs „Das Burnout-Syndrom“ erschien bereits 1989. Der Ur-Vater der Burnout-Forschung ist Herbert Freudenberger. Der 1999 verstorbene deutsch-amerikanische Psychologe und Psychoanalytiker publizierte den ersten wissenschaftlichen Artikel zum Thema Burnout bereits 1975. Sein Buch „Burnout bei Frauen“ habe ich - damals selbst auf dem Weg in einen Burnout – mir 1999 gekauft: die erste Ausgabe erschien bereits 1994.
Das Thema Burnout ist also alles andere als neu – und es wurde viel dazu geforscht. Problem jedoch ist, dass die Burnout-Forscher sich eher gegenseitig bekämpfen und es nur Quer-, kaum Längsschnittstudien gibt. Dadurch bleibt vieles in den Studien ungeklärt: Was ist Ursache, was Folge und was Korrelat? Ina Rösing hat dieses Phänomen in der Burnout-Forschung 2003 in ihrem Buch „Ist die Burnout-Forschung ausgebrannt?“ untersucht. So schön es ist, dass das Thema Burnout durch die Medienpräsenz vielleicht etwas von seinem Tabu verlieren könnte – ist das Ausbrennen doch nach wie vor schambesetzt und geht mit Versagensängsten einher. Meine Klienten sind immer noch nicht stolz darauf, einen Burnout zu haben oder gefährdet zu sein. Auch wenn das Thema noch so hip ist und häufig sehr platt ausgeschlachtet wird. Deshalb liegt es mir sehr am Herzen, hier in diesen Burnout-Infos einen Einblick in die Arbeit von den Menschen zu geben, die sich seriös und langfristig dem Thema widmen.
7-Phasen-Modell von Burisch
Nachfolgend stelle ich das sog. 7-Phasen-Modell von Burisch dar, das die Symptomatik und den klassischen Verlauf bzw. die Entwicklung eines Burnouts erklärt:
- Warnsymptome der Anfangsphase
- Reduziertes Engagement / Rückzug
- Emotionale Reaktionen / Schuldzuweisungen
- Abbau
- Verflachung
- Psychosomatische Reaktionen
- Verzweiflung
Nachfolgend finden Sie detaillierte Infos zu den Phasen und wichtige Hinweise von Prof. Burisch.
Wichtig:
Nicht alle Symptome treten bei allen Betroffenen auf. Teils widersprechen sich die Merkmale sogar, auch dies ist von Person zu Person unterschiedlich. Ebenso können andere (hier nicht aufgeführte) Symptome hinzukommen. Die Phasen können sich verschieben, teils werden sie übersprungen. Ebenso ist auch ein Wechsel in beide Richtungen möglich. Genau das macht die Definition von Burnout und die Abgrenzung zu Depression, Stress, Bore Out und dem Chronique Fatigue Syndrom auch so schwierig: alle Burnout-Forscher sind sich über die „individuelle Natur“ von Burnout einig.
1. Warnsymptome der Anfangsphase
- Vermehrtes Engagement für Ziele: überhöhter Energieeinsatz. - Hoher Idealismus - Hohe / unrealistische Ziele - Überhöhte Ansprüche - Nach der Arbeit nicht mehr abschalten können: Teufelskreis durch fehlende Erholung geschwächte Widerstandskraft / Effizienz
- Gleichzeitig Gefühle von Erschöpfung - Müdigkeit - Energiemangel - Unausgeschlafenheit
- Des Weiteren häufig zu beobachten: - Gefühl, nie Zeit zu haben („Hurry-Sickness“) - Verleugnung eigener Bedürfnisse - Hyperaktivität - Verdrängung von Misserfolgen und Enttäuschungen - Gefühl der Unentbehrlichkeit (vgl. A/B-Typen)
Burisch ist übrigens überzeugt davon, dass nicht die Arbeitsmenge zählt, sondern die Gefühlslage, mit der man seine Arbeit erledigt: „Wenn Einsatz und Ertrag, Anstrengung und Belohnung, Negatives und Positives in keinem allzu krassen Missverhältnis stehen, dann kann ein hoher Grad von Engagement jahrelang aufrecht erhalten werden.“ Auch wenn unsere Arbeitswelt durch permanente Erreichbarkeit, Globalisierung der Märkte (es gibt keinen „Feierabend“ per se mehr) etc. heute mehr Burnout-Potential als noch vor 20 Jahren hat, bestätigt Burischs Zitat, dass wir nicht automatisch Ausbrenn-Opfer dieser veränderten Welt werden müssen. Vorgesetzte haben über Ihr Führungsverhalten, Unternehmer über Team- und Organisationsformen, Personalentwicklung und Entlohnungsstrukturen große Möglichkeiten, der Burnout-Gefahr entgegen zu wirken. Auch der Arbeitnehmer selbst braucht sich nicht als Opfer der bösen Businesswelt oder des ausbeutenden Chefs zu verstecken, sondern kann selbst über die Balance der o.g. Kriterien für Zufriedenheit sorgen.
2. Reduziertes Engagement / Rückzug
- Rückzug Kunden / Patienten bzw. der Arbeit gegenüber → Aus Begeisterung wird Überdruss: - Desillusionierung - Verlust positiver Gefühle ggü. Kunden / der Arbeit - Widerwillen und Überdruss - Widerstand, täglich zur Arbeit zu gehen - Den Feierabend, das Wochenende bzw. den nächsten Urlaub herbeisehnen - Zynismus: „Die Niere von Zimmer 43 nervt“ - Schuldzuweisung für Probleme beim Kunden: „Die sind doch selbst schuld….“ - Meidung von Kontakt mit Kunden / Kollegen - Stereotypisierung von Kunden, Abwertung: „Das ist wieder so ein Idiot, der….“ - Aufmerksamkeitsstörungen in der Interaktion mit Kunden
- Wo früher eher im Übermaß gegeben wurde, wird jetzt genommen: - Überziehen von Arbeitspausen - später Arbeitsbeginn - früher Arbeitsschluss - Fehlzeiten - Konzentration auf die eigenen Ansprüche und Bedürfnisse - Verlagerung des Schwergewichts auf die Freizeit – Aufblühen am Wochenende
- Rückzug von der Familie / Freunden gegenüber - Unfähigkeit oder Unwille zu geben (teils anderes Selbstbild) - Verlust des Einfühlungsvermögens / Verständnislosigkeit - Schwierigkeiten, anderen zuzuhören - „Ich habe tagsüber genügend Probleme zu lösen: da will ich abends wenigstens meine Ruhe haben.“
3. Emotionale Reaktionen / Schuldzuweisungen
Durch die Desillusionierung, das Aufgeben früherer Ziele und den Wegfall von ehemaligen Befriedigungsquellen müsste eigentlich Trauerarbeit stattfinden, um wieder frei für neue Ziele und Motivatoren zu sein. Da der Burnout-Prozess jedoch in diesem Stadium eher selten bewusst erlebt und erkannt wird, gibt es zwei Möglichkeiten, mit der Schuld für den unbefriedigenden Zustand umzugehen: A) wirft depressiv-ängstlich sich selbst das Versagen vor: Ich kriege das nicht hin, bin nicht gut genug für diesen Job. B schreibt aggressiv-gereizt-paranoid der Umwelt die Verantwortung zu: die böse Welt, das System oder zumindest der unfähige Chef, die ausbeutende Firma sind dran Schuld.
- Depression: der Ausbrennende sieht die Schuld bei sich - Gefühle der Hilflosigkeit - Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit gehen zurück - Schuldgefühle - Reduzierte Selbstachtung - Insuffizienzgefühle - Gedankenverlorenheit - Selbstmitleid - Humorlosigkeit - Unbestimmte Angst – Nervosität - Abrupte Stimmungsschwankungen - Verringerte emotionale Belastbarkeit - Bitterkeit - Abstumpfung, Gefühl von Leere und Abgestorbensein - Schwächegefühl - Neigung zum Weinen - Ruhelosigkeit - Gefühl des Festgefahrenseins - Pessimismus, Fatalismus - Apathie - Selbstmordgedanken
- Agression: der Ausbrennende sieht die Schuld bei anderen - Reizbarkeit – Nörgeleien – chronisch gereizte Stimmung – Launenhaftigkeit - Häufige Konflikte mit anderen - Gefühl des Angegriffenseins: „Alle hacken nur auf mir rum“ – „Die wollen mich absägen“ - Negativismus – Pessimismus – Misstrauen - Schuldzuweisungen an andere oder „das System“ – Vorwürfe anderen gegenüber - Verleugnung der Eigenbeteiligung - Ungeduld – Intoleranz – Kompromissunfähigkeit
Burisch sieht in diesem Stadium die Chance für erfolgreiche Problemlösungen schon gemindert und vermutet, dass viele Ausbrenner kurz vorher die Notbremse ziehen. Dies bestätigt die Bedeutung von Burnout-Prävention in Unternehmen: bevor die Firmen ihre Leistungsträger und ehemals hochmotivierten Mitarbeiter verlieren.
4. Abbau der Leistungsfähigkeit
- Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit: - Konzentrations- und Gedächtnisschwäche - Schwierigkeiten bei komplexen Aufgaben - Desorganisation - Unfähigkeit zu klaren Anweisungen - Probleme, Entscheidungen zu fällen
- Gesunkene Motivation: - Verringerte Initiative: Ungenauigkeit – Flüchtigkeitsfehler - Verringerte Produktivität - Dienst nach Vorschrift
- Undifferenzierte Wahrnehmung: - Rigides Schwarz-Weiß-Denken - Widerstand gegen Veränderungen aller Art („Das haben wir schon immer so gemacht…“)
- Gesunkene Kreativität: - Verringerte Fantasie - Rückgang der Innovationskraft - Reduzierte Flexibilität
5. Verflachung
- Emotionales Leben: - Gleichgültigkeit - Verflachung gefühlsmäßiger Reaktionen
- Soziales Leben: - Beschäftigung mit sich selbst – Freunde ziehen sich zurück – Einsamkeit - Meidung informeller Kontakte - Eigenbrötelei
- Geistiges Leben: - Desinteresse - Aufgabe von Hobbies - Langeweile
6. Psychosomatische Reaktionen
Natürlich zeigen sich psychosomatische Reaktionen auf vielfältige Arten auch schon in den vorherigen Phasen:
- Veränderte Essgewohnheiten und damit einhergehende Gewichtszu- oder Abnahme, - Verspannungen, Kopfschmerzen und Rückenbeschwerden durch Bewegungsmangel, - erst Schlafprobleme, dann Konzentrationsmangel, wenn die Job-Themen nachts den Schlaf beeinträchtigen.
In diesem Stadium werden die psychosomatischen Reaktionen unübersehbar. Die Bandbreite beim ein Burnout-Syndrom ist riesig, was genau durch den Begriff angedeutet wird. Zusammentreten einzelner, für sich genommen uncharakteristischer Krankheitszeichen. Symptome können sein:
- Muskelverspannungen: Hals, Nacken, Rücken etc.
- Schlafstörungen: Einschlaf- und Durchschlafprobleme, Alpträume
- Kopfschmerzen / Migräne
- Verdauungsstörungen: Magen / Darm , Übelkeit, Magen-Darm-Geschwüre
- Schwächung des Immunsystems (häufige Erkältungen etc.)
- Unfähigkeit zur Entspannung - Koronare Herzerkrankungen, Herzklopfen, Beschleunigter Puls, Erhöhter Blutdruck
- Panikattacken
- Angst vor der Angst
- Atembeschwerden (Kurzatmigkeit, Asthma etc)
7. Verzweiflung
- Existenzielle Verzweiflung: Aus dem temporären Gefühl der Hilflosigkeit wird das chronische Gefühl der Hoffnungs- und Sinnlosigkeit.
- Negative Einstellung zum Leben: da Zuversicht und Sinn fehlen.
- Selbstmordgedanken: als letzter Ausweg.
Wenn Sie möchten, können Sie dieses 7-Phasen-Modell mit den Detail-Infos auch als Bestandsaufnahme nutzen: markieren Sie die Ihnen bekannten (bzw. bewussten) Symptome. Dies ersetzt natürlich keinen Burnout-Test, wie beispielsweise den Maslach-Burnout-Inventory nach der Burnout-Forscherin Christina Maslach.
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