Im Ausland arbeiten ist für viele Menschen ein Traum, der verbunden ist mit dem Wunsch, einmal wegzukommen. Für andere ist es eine Option, die ihnen von der Firma angeboten wird. In jedem Fall aber ist es eine Möglichkeit, dem Arbeits- und Privatleben neue Impulse zu geben. ‘Expatriates’ nennen sich diese Arbeitnehmer und ihre Partner oder Familien, die im Ausland leben.
Von aussen betrachtet ein beneidenswertes Leben: ganzjährig z.B. in den Subtropen leben mit nur ein oder zwei Stunden Flug bis ins nächste exotische Land. Man kann eine neue Kultur hautnah erleben ohne dabei auf die gewohnten Annehmlichkeiten zu verzichten. Das ganze wird relativ grosszügig finanziert, verbunden mit vielleicht einer Beförderung und anfänglich neuen, interessanten Arbeitsbedingungen. Die daheim Gebliebenen sind beeindruckt, man selbst freut sich und die Familie schwankt zwischen ‘ist das cool’ und ‘was machen wir dies Wochenende?’.
Entspricht dies der Realität?
Ja und Nein. Ja, ein Umzug ins Ausland ist aufregend und anregend. Ja, man lernt viel Neues kennen und, ja, Arbeit und Karriere werden in einem anderen Licht gesehen und erlebt. Gekoppelt mit all diesen positiven und auch durchaus empfehlenswerten Veränderungen, die eine Arbeitsplatzverlegung ins Ausland mit sich bringt, sind eine Reihe von wichtigen Überlegungen, Entscheidungen und Prozessen, die schon im Vorfeld beachtet werden müssen. Ich habe hier bewusst ein ‘Muss’ eingebracht, weil ein ‘ziehen wir erst mal um, und sehen dann wie’s weitergeht’ nur in seltenen Fällen wirklich funktioniert.
Was den meisten nicht bewusst ist, wie tiefgreifend es ist, das Heimatland zu verlassen
• Das gewohnte soziale Umfeld ist nicht mehr da und ein neues hat sich noch nicht entwickelt.
• Kulturunterschiede in der Zusammenarbeit mit lokalen Kollegen können Verwirrung schaffen und Missverständnisse aufkommen lassen. • Das Klima und die Kultur sind fremd und selbst kleinere Erledigungen scheitern an der Sprachbarriere oder den lokalen Gegebenheiten. • Die mitgekommenen Partner oder Kinder finden die Eingewöhnung schwieriger als erwartet.
• Konfliktpunkte in der Partnerschaft oder innerhalb der Familie werden deutlicher, weil sie nicht mehr wie zu Hause in der täglichen Routine untergehen. • Heimweh, Zweifel, Überforderung, Stress laufen unausgesprochen ab.
• Der/die Entsandte muss sich fast 100 prozentig auf die neuen Aufgaben konzentrieren, weiss anfangs nicht, wann genug getan ist und kann auch am Abend nur schwer abschalten und auf ‘privat’ umschalten.
All diese potentiellen Stressoren können mit einer ruhigen und umfassenden Vorbereitung vor der ‘Relocation’ vermieden bzw. wesentlich gemindert werden. Auch im langfristigen Verlauf der Entsendung bleibt es wichtig, sich bewusst mit den Geschehnissen vor Ort, den inneren Gedanken, den aufkommenden Veränderungen in den innerfamiliären Beziehungen bewusst auseinanderzusetzen. In meiner Arbeit mit Expatriates erlebe ich immer wieder wie Situationen lange ausgehalten werden bis sie unerträglich werden, bis die Gesundheit angegriffen ist oder die Kommunikation im privaten wie bei der Arbeit erschwert abläuft. Vorwürfe, Selbstzweifel, Angst und Ärger köcheln – von anderen oft unbemerkt - unter der Oberfläche.
Unterschiedliche Gründe
• Als Entsandte(r) ist man immer kompetent, hat alles in der Hand, zeigt keine ‘Schwäche’.
• ‘Die anderen schaffen es doch so blendend, da kann ich nicht zugeben, dass es mir manchmal nicht so gut geht.’ • ‘Was in der Familie vorgeht, bleibt unter uns, keiner darf was merken.’
• ‘Ich fühl mich überfordert und darf es nicht zugeben.’
• ‘Ich fühl mich unausgefüllt und darf es nicht zugeben, weil ich ja ein ‘Luxusleben’ führe’.
• ‘Ich möchte mich mal ausruhen, aber jedes Wochenende ist schon verplant mit Einladungen, die ich annehmen muss.’
Einige dieser Themen sind universell und können auch zu Hause aufkommen, nur findet ein Expatriate nicht so leicht den richtigen Ansprechpartner, um sich einmal auszusprechen. Selbst die beste Freundin in Deutschland kann ihren leisen Neid nicht immer verbergen und reagiert schon mal mit einem: ‘Worüber kannst du dich eigentlich beschweren, schau doch, wie du lebst!’ Natürlich will ich nicht den Teufel an die Wand schreiben oder die Auslandstätigkeit als konfliktgeladenen Sumpf schildern. Grundsätzlich ist eine Entsendung eine phantastische Sache auf beruflicher und auf persönlicher Ebene; und damit es auch so abläuft ist es unvermeidlich, sich bewusst mit den vielen individuellen Aspekten dieser Veränderung auseinanderzusetzen. Prävention ist besser als Vorsorge und noch besser als ‘Feuerwehreinsatz vor Ort’ oder vorzeitige Rückversetzung.
Wenn Sie den Gedanken im Kopf tragen, im Ausland zu arbeiten, beschäftigen Sie sich einmal mit diesen Grundfragen
• Ist dieser Umzug ein ‘Weg-von’ oder ein ‘Hin-zu’?
• Was ist Ihre grösste Erwartung in a) beruflicher und b) privater Hinsicht?
• Wer ist noch unmittelbar von dieser Entscheidung betroffen?
• Waren Sie schon einmal längere Zeit (6 Monate oder länger) im Ausland?
• Sind Ihre Sprachkenntnisse für das Land ausreichend (können Sie sich unterhalten)?
Langfristige Expatriate Betreuung, die die begleitende Familie/den/die Partner(in) mit einschlieβt, und wobei sich unterschiedlich dichte Beratungsphasen abwechseln, sehe ich als eine fortschrittliche Form des Gesundheitsmanagements in Unternehmen. Stetigkeit statt Achterbahn in der Unterstützung durch Coaching/Beratung kombiniert mit individualisierter Zuwendung schafft eine win-win Situation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Wie immer bei diesen Veränderungen liegt der Beginn an der (Führungs)Spitze. Nur wenn der Chef selbst in den Genuss kommt, es als schlüssig und weiterhelfend erlebt, kann sich die Kultur des Wohlwollens und ganzheitlichen Blicks auf den Einzelnen im Unternehmen durchsetzen.
Bild: FangXiaNuo