Die psychische Gefährdungsbeurteilung ist bereits seit Jahren verstärkt in den Fokus der Fachleute im Bereich von Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz bzw. bei der Arbeit gerückt. Laut Arbeitsschutzgesetz § 5 zählt nämlich seit Ende 2013 auch die Erfassung der psychischen Belastungen zu den arbeitsschutzgesetzlichen Pflichten der Arbeitgeber. Dies bedeutet, dass jede Organisation und jedes Unternehmen explizit jene Gefährdungen identifizieren muss, die sich für die Beschäftigten aus der diesbezüglichen psychischen Belastung ergeben. Erhebungen und Umfragen beweisen, dass aber immer noch eine gewisse Unsicherheit darüber herrscht, wie die Erfassung durchgeführt werden soll und welche Kriterien maßgeblich für die Beurteilung sind.
Die psychische Gefährdungsbeurteilung soll Unfällen sowie arbeitsbedingten Gefahren vorbeugen
Gemäß der Pflichten im arbeitsschutzgesetzlichen Rahmen müssen Sie dabei als Arbeitgeber in Ihrem Betrieb Maßnahmen entwickeln und ergreifen, die zur effektiven Ermittlung der entsprechenden Gefährdungen in Ihrem Unternehmen führen. Grundsätzlich soll durch die gesetzlich verankerte psychische Gefährdungsbeurteilung arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren sowie Unfälle vorgebeugt werden. Hierzu zählt dann eben auch die psychische Belastung am Arbeitsplatz beziehungsweise bei der Arbeit. Zum Einsatz kommt dabei eine Vielzahl unterschiedlicher Einflüsse, die als psychisch bedeutsam eingeschätzt werden. Zu diesem Themenkontext gehören auszugsweise die Arbeitsintensität, die Zeitdauer, Lage sowie Verteilung der Arbeitszeit, die soziale Unterstützung im Arbeitsumfeld oder zum Beispiel auch Kriterien wie Beleuchtung, Lärm und Klima.
Keine standardisierten Durchführungsempfehlungen - Unternehmensspezifika im Fokus
Fakt ist, dass eine Arbeit ohne die geringste psychische Belastung nicht existent ist. Genauso wenig gibt es keine Tätigkeit im Berufsleben, bei der Sie ohne jede körperliche Belastung auskommen. Sowohl körperliche als aber auch psychische Belastungen in bestimmter Ausprägung können eine gesundheitsgefährdende Wirkung mit sich bringen. Besonders deutlich wird dies zum Beispiel bei einer ungünstig gestalteten Schichtarbeit oder bei hohen leistungs- und zeitbezogenen Anforderungen über einen längeren Zeitraum. Allerdings gibt es noch keine verbindlichen Durchführungsvorschriften für die psychische Gefährdungsbeurteilung. In den gesetzlichen Regelungen ist lediglich klar formuliert, dass derartige Maßnahmen durchgeführt werden müssen. Wie dies aber geschehen soll, bleibt offen. Standards - wie es sie zum Beispiel bei der Leitmerkmalmethode zur manuellen Handhabung von Lasten gibt - existieren noch nicht. Stattdessen haben sich im Laufe der Zeit unterschiedliche Erhebungsverfahren sowie verschiedene Vorgehensweisen etabliert. Letztendlich hängen die eingeleiteten Maßnahmen aber immer von den unternehmensspezifischen Gegebenheiten und Faktoren, wie etwa Betriebsgröße oder Branche, ab.
Messverfahren: Fragebögen, Beobachtungsinterviews und Workshop-Verfahren
Trotz der immer weiter um sich greifenden Digitalisierung und der stetig voranschreitenden Technologisierung können Sie die psychische Gefährdungsbeurteilung allerdings nicht mit einem Gerät oder einer Apparatur durchführen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Sie keine vorgegebenen Einheiten - wie etwa in der Physik - zur Verfügung haben. Ohne eine solche Größe kann ein technisches Gerät aber keine Messungen vornehmen. Auch eine manuelle Erfassung, beispielsweise in Form von Strichlisten, stößt aufgrund des Aufwands schnell an seine Grenzen. Somit hat sich die Methode, die Beschäftigten direkt zu befragen, sie zu beobachten und mit ihnen zu diskutieren, als diesbezüglich beste Lösung herauskristallisiert. Hierbei setzen Unternehmen vor allem auf Workshop-Verfahren, auf so bezeichnete Beobachtungsinterviews sowie auf Fragebögen. Aber Achtung: Bei jeder Befragung bzw. bei jedem Interview haben dabei natürlich auch subjektive Aspekte eine gewisse Relevanz. Gerade zwischenmenschliche Beziehungen stehen hier im Fokus, denn diese sind grundsätzlich nicht direkt messbar.
Schritt für Schritt: Die psychische Gefährdungsbeurteilung richtig planen und durchführen
Die Erfassung psychischer Belastungen per Fragebogen beziehungsweise per Interview oder mittels Workshop-Lösungen erfolgt dabei grundsätzlich innerhalb der Kern- bzw. Schwerpunkt-Kategorien Arbeitsinhalt, Arbeitsorganisation, Arbeitsumgebung, Arbeitsmittel und soziale Beziehungen. Der grundsätzliche Ablauf der Erfassung psychischer Belastungen unterscheidet sich dabei quasi nur in Nuancen bzw. im Detail von anderen Gefährdungsbeurteilungen. Dabei sollten Sie Ihre Vorgehensweise rund um die psychische Gefährdungsbeurteilung in folgenden Schritten planen und realisieren:
- Festlegung der Bereiche bzw. Tätigkeiten, die für die unternehmensspezifische psychische Gefährdungsbeurteilung relevant sind.
- Ermittlung der psychischen Belastung der Tätigkeit.
- Beurteilung der psychischen Belastung.
- Gestaltung und Realisierung von entsprechenden Maßnahmen, sofern diese erforderlich erscheinen.
- Prüfung der Wirksamkeit der jeweils eingeführten Maßnahmen.
- Fortschreibung bzw. Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung, sofern sich die Gegebenheiten verändert haben.
- Erstellen einer abschließenden Dokumentation.
Tools zur Überprüfung der psychischen Gefährdungsbeurteilung finden Sie im PEATS-Toolfinder.
Psychische Gefährdungsbeurteilung: Im Vorfeld alle relevanten Kriterien festlegen
Wesentlich ist es hier allerdings, dass Sie bereits im Vorfeld bestimmte Aspekte und Kriterien für die Durchführung, die Analyse bzw. die Auswertung sowie für die Ableitung von Maßnahmen detailliert festlegen. Folgende Fragen sollten dabei beantwortet werden:
- Welche Verfahren kommen zwecks Erfassung zum Einsatz?
- Wer ist für die Auswertung verantwortlich?
- Wer erhält Einblick in welche Ergebnisse?
- Ab welchem Gefährdungsgrad werden Maßnahmen eingeleitet?
- In welcher Form werden Maßnahmen aus den Ergebnissen abgeleitet?
- Wie läuft die Einbindung der Führungskräfte bzw. der Vorgesetzten?
- Wie lässt sich die Wirksamkeit der realisierten Maßnahmen überprüfen?
Die psychische Gefährdungsbeurteilung bezieht sich nicht auf die persönliche Beanspruchung
Beachten Sie aber, dass Sie nicht fälschlicherweise die psychische Beanspruchung Ihrer Mitarbeiter in den Fokus rücken, sondern sich thematisch tatsächlich auf die psychischen Belastungen konzentrieren. Dies ist explizit im § 5 des Arbeitsschutzgesetzes formuliert. Dies macht aber auch Sinn. Denn wenn es um die Belastungen geht, können die Merkmale einer Tätigkeit vergleichsweise neutral beobachtet, erfasst, hinterfragt und diskutiert werden. Geht es aber stattdessen um die Beanspruchungen und die diesbezügliche Wirkung, sind sehr persönliche Informationen erforderlich. Eine Befragung dieser Art schürt daher häufig Ängste bei den Mitarbeitern, dass die Leistungsfähigkeit überprüft werden soll.
Die psychische Gefährdungsbeurteilung ist in drei Analysetiefen unterteilt
Je detaillierter Sie eine psychische Gefährdungsbeurteilung vornehmen möchten, desto größer ist letztendlich dann auch der Aufwand und die erforderliche Expertise. Bei der Erfassung psychischer Belastungen wird dabei grundsätzlich zwischen drei Aufwands- bzw. Analysetiefen unterschieden:
- Orientierende Verfahren: Hier erfolgen lediglich Messung zur Orientierung, die nicht ins Detail gehen. Dabei werden nur vergleichsweise wenige Fragen gestellt, wobei die Ergebnisse dann Hinweise auf Belastungsschwerpunkte geben. In der Praxis werden bei orientierenden Verfahren etwa 20 Fragen mit je zwei verschiedenen Antwortmöglichkeiten.
- Screening-Verfahren: Schon etwas genauer, aber dafür auch entsprechend aufwendiger. Es werden im Vergleich zu den orientierenden Fragen rund doppelt so viele Fragen gestellt und zudem auch mehr Antwortmöglichkeiten eingeräumt. Fallspezifisch enthalten manche Screening-Verfahren auch verschiedene Beobachtungselemente.
- Experten-Verfahren: Während Sie in den ersten beiden Verfahren keine Experten beauftragen müssen, kommen hierbei zum Beispiel ausgebildete Psychologen zum Einsatz. Dabei nutzen die Experten in erster Linie Workshop-Verfahren und Beobachtungsinterviews, wobei sie die jeweiligen Antworten im Gutachter-Stil auswerten.
In der Praxis bewährte Handlungsweisen und Vorgehensstrukturen
In der Praxis haben sich bislang im Hinblick auf die psychische Gefährdungsbeurteilung folgende Handlungsweisen und Vorgehensstrukturen als erfolgversprechende Lösungen etabliert:
- Nutzen Sie die vorhandenen Strukturen, wie beispielsweise den Arbeitsschutzausschuss, und binden Sie die psychische Gefährdungsbeurteilung in diese ein.
- Messen Sie die Belastungen zunächst in orientierender Form.
- Greifen Sie auf wissenschaftlich geprüfte Erhebungsverfahren zurück.
- Durch eine intensive Kommunikation mit den Mitarbeitern identifizieren Sie gezielt relevante Handlungsfelder.
- Die Beschäftigten sollten kontinuierlich über den aktuellen Stand der jeweiligen Gefährdungsbeurteilung informiert werden. Dies schafft Transparenz, Vertrauen und Motivation.
- Vernachlässigen Sie auf keinen Fall die Anonymität und den Datenschutz.
- Gerade Maßnahmen in Kleingruppen haben sich als effektive Lösungen erwiesen.
- Die Führungskräfte müssen Verantwortung übernehmen. Dafür müssen sie dann aber auch qualifiziert werden.
- Die Realisierung bzw. die Umsetzung der erarbeiteten Maßnahmen sollten stetig überprüft werden.
Entscheidender Nebeneffekt: Die innerbetriebliche Kommunikation wird deutlich verbessert
Anzumerken ist diesbezüglich noch, dass ein Workshop zeitliche Vorteile bietet. Denn hier können Sie Erfassung, Beurteilung und Ableitung von Maßnahmen komprimiert bzw. quasi in einem Arbeitsgang erledigen. Bedenken Sie zudem, dass die psychische Gefährdungsbeurteilung grundsätzlich auf einem strukturierten Prozess basiert und kein singuläres Ereignis darstellt. Die Vorbereitung ist dabei ein ungemein entscheidender Faktor. Es ist relativ leicht sich in die Thematik einzuarbeiten. Nur wenn Sie zum Beispiel Experten-Verfahren zur Erfassung psychischer Belastungen einsetzen, ist fundierte Expertise notwendig. Letztlich zeigen die bisherigen Erfahrungen auf dem Gebiet der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, dass sich eine gezielt-effektive Umsetzung positiv auf die Arbeit Ihrer Mitarbeiter positiv auswirkt. So verbessert sich vor allem die innerbetriebliche Kommunikation, was dann wieder zu einer Steigerung der Produktivität führt.
Bild: julief514, 2016