Schuldgefühle und schlechtes Gewissen sind zunächst mal eine gesunde Sache, denn je besser man seine eigene Schuld erkennen und einsehen kann, desto mehr Handlungsspielraum und Gestaltungsmöglichkeit bleibt bestehen. Die Kunst der Schuld besteht nämlich darin, sie aushalten zu können.
Schuld muss man zulassen können, sich ihr stellen und den Ringkampf zwischen Gewissen und Ego ertragen. Das Eingestehen der Schuld führt dann meistens zu einem Gefühl der Erlösung. In diesem Moment verbindet sich das Gefühl mit dem Gewissen. Die Folge davon kann ein mehr oder weniger heftiger Gefühlsausbruch sein. Gefühl, das nach außen gerichtet wird, ist generell ein regelrechter Egovertreiber. Die Beichte war so gesehen immer eines der ganz großen Instrumente. Sie führt dazu, dass der Mensch sich erleichtert fühlen kann und wieder Teil der Gemeinschaft wird, weil er seine Schuld und seine Sorgen abgegeben hat. Am Ende der Schuld steht die Sühne, also die "Strafe". Diese führt dazu, dass durch Reue der Delete-Knopf gedrückt werden kann. Insofern ist das Ergebnis der Studie, veröffentlicht hier in Wirtschaftspsychologie-Aktuell eigentlich nicht sehr überraschend. Dennoch ist es sehr interessant, das Thema Schuld im Kontext Arbeitsalltag etwas genauer zu betrachten. Remus Ilies, Professor für Management an der National University of Singapore (NUS), forscht zu Führung, Persönlichkeit und Arbeitseinstellungen und untersuchte in der Studie die Reaktionen von 172 Berufstätigen, die auf ihr negatives Verhalten gegenüber Kollegen und der Organisation aufmerksam gemacht wurden.
Schuld als Lerninstrument
Schuldgefühle haben den angenehmen Nebeneffekt, dass derjenige, der darunter leidet, gleichzeitig etwas Neues lernt: Korrektes Verhalten. Meistens entsteht sogar das Bedürfnis den Fehler wieder gutzumachen, um die soziale Norm wieder herzustellen. Das Forschungsinteresse von Ilies war nun die Frage, ob Schuldgefühle und das Bedürfnis nach Ausgleich und Wiedergutmachung zu Verhaltensänderungen am Arbeitsplatz führen. Ausgangspunkt war zum einen unternehmensschädigendes Verhalten wie beispielsweise verbale Aggressionen und andererseits freiwilliges Arbeitsengagement. Wie beispielsweise einem Kollegen zu helfen, ohne eine Gegenleistungen dafür zu erwarten. Im Ergebnis gaben Personen, die sich bei der Arbeit überdurchschnittlich destruktiv verhalten hatten und ein Feedback dazu bekamen, viele Schuldgefühle an. Sie hatten ein konstruktives Feedback zu ihrem Verhalten bekommen. Darüber hinaus war bei diesen Mitarbeitern das Bedürfnis entstanden, sich zukünftig stärker zu engagieren. Tatsächlich wurde dieses Vorhaben auch umgesetzt. Mitarbeiter die sich nur wenig unternehmensschädigend verhielten oder kein Feedback erhielten, zeigten dagegen nicht mehr Engagement als vorher. Schuld spielt demnach eine wesentliche Rolle bei positiven Verhaltensänderungen, denn nur die Schuldbewussten nahmen das Feedback zur Grundlage für besseres Verhalten.
Schuld als Forderung
Problematisch wird das Thema Schuld aber dann, wenn es als Machtinstrument benutzt wird. In diesem Moment wird die Schuld nicht bei sich selbst, sondern bei dem anderen gesucht. Es kehrt sich dann als Lerninstrument in sein Gegenteil um und wird destruktiv. Dann wird aus Schuld eine Forderung die dazu führt, dass das Gegenüber erniedrigt werden soll. Schuld ist beispielsweise im depressiven Modus ein klassisches Erpressungsinstrument: "Du bist schuld, dass es mir schlecht geht!", ist oftmals die Haltung hinter einem depressiven Verhalten. Was natürlich dazu führt, dass sich das beschuldigte Gegenüber dem Opfer zuwendet. Bei Schuldzuweisungen ist es nützlich sofort hellwach zu werden und den Spieß umzudrehen. Sobald Sie der Meinung sind, dass jemand Schuld hat, lohnt es sich genauer hinzuschauen. Der Chef ist schuld, dass es mit der Karriere nichts wird? Die Ehefrau ist schuld, dass man immer noch in derselben Firma hockt und der HSV ist schuld an der schlechten Laune, weil er absteigt? Fremdbeschuldigung bringt grundsätzlich nichts! Selbst dann nicht, wenn die Faktenlage eindeutig zu Gunsten der eigenen Person spricht. Warum? Weil man fast immer nur an der eigenen Person etwas ändern kann. Sobald die Verantwortung durch Schuldzuweisungen an den anderen delegiert wird, gibt es nur eine Möglichkeit etwas an der blöden Situation zu ändern. Und die liegt beim anderen. Und schon ist die Kiste zu - nun sind nämlich auch die Handlungsoptionen beim anderen. Also sitzen Ohnmacht, Hilflosigkeit und Blockaden mit drin in der Kiste.
Schuld als Zwangsjacke
Wer sich oft schuldig fühlt, hat möglicherweise hohe Moralvorstellungen oder ein sehr starkes Wertegerüst. Kleine Fehler die andere Menschen nicht einmal bemerken, können dann schon zu Schuldgefühlen führen. Dadurch wird der Lerneffekt unmöglich gemacht. Und zwar durch überzogene Vorstellungen von dem eigenem Verhalten und Möglichkeiten. Unnötige Selbstvorwürfe sind die Folge, die sich nicht nur für den Betroffenen wie eine Zwangsjacke anfühlen, sondern auch für die Umwelt. Wer versucht perfekt und fehlerfrei zu sein, erntet nicht selten Kopfschütteln bei den Kollegen oder erlebt sogar fehlenden Respekt. An der Stelle wirkt das Umfeld als Spiegel für die Emotionen, die eigentlich hinter dem Schuldgefühl stehen und mit dem man sich beschäftigen sollte anstatt sich für alles verantwortlich zu fühlen. Chronische Schuldgefühle sind sogar ein Resultat von mangelnder Verantwortungsübernahme. Sie tun gleichzeitig so, als wäre das Gegenteil der Fall. Tatsächlich ist permanentes Schuldgefühl eine Methode, um Verantwortung zu vermeiden. Im wahren Leben funktioniert dieses System aber nicht. Deshalb das Kopfschütteln oder die latente Aggression von Kollegen oder Familie.
Schuld in der Gesellschaft
Schuld ist ein großes Thema in unserer Gesellschaft. Die Mechanismen, die seit Jahrtausenden ausgebaut und verfeinert worden sind, haben nun in den Medien noch mal eine große Bühne gefunden. Besonders Frauen sind angesprochen sich schuldig zu fühlen, wenn sie sich gleichzeitig als geduldige, ewig lächelnde Mutter, perfekte, wunderschöne Ehefrau, durchgestylte Sportskanone und eloquente Chefin über die Bildschirme flimmern sieht und diese Bilder mit der Realität abgleicht. Aber andererseits ist Schuld ein sehr feines und differenziertes Instrument, mit dem wir arbeiten können. Es zeigt welche Werte wir haben, mit welchen Rollen wir uns identifizieren und außerdem wie wir unser Verhalten optimieren können. Sie sind der absolute Gradmesser für ein authentisches Leben im Job, bei der Familie und mit den Freunden. Veröffentlicht wurde die Studie von Remus Ilies im Journal of Applied PsychologyImage
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