In der Führungsliteratur liest man immer wieder von einer ausgeglichenen Balance zwischen Geben und Nehmen, damit Führungskräfte sich nicht langfristig aufarbeiten. Die Idee ist sinnvoll und richtig. Dabei stellt sich allerdings die Frage, wie das funktionieren soll. Ich kann nichts nehmen, wenn nichts da ist oder ich nichts von meinen Mitarbeitern bekomme. Ich plädiere deshalb stattdessen für eine Balance aus Geben und Begrenzen. Mit Angeboten bieten Sie etwas an. Mit Fragen äußern Sie Erwartungen und klären die Möglichkeiten Ihres Gegenübers.
Fragen und Angebote stellen Führung auf den Kopf: Nicht Sie führen den Mitarbeiter, sondern er lenkt sich in einer 360-Grad-Führung selbst:
„Herr Schubert, ich habe das Gefühl, unsere beiden Uhren ticken schon seit einiger Zeit nicht mehr synchron. Es irritiert mich, dass einen halbe Sekunde nach meinem Ticken ein Ticken von Ihnen kommt. Was könnten wir aus Ihrer Sicht tun, um unsere Sekundenzeiger wieder zu synchronisieren?“
Das jedoch fällt vielen Vorgesetzten schwer. Viele Führungskräfte, die ich in Coachings und Seminaren kennenlernen durfte, sind passionierte Geber, Kümmerer, Experten und Macher. Sie wollen etwas bewegen und stoßen leider oft an Grenzen. Eine frustrierende Erfahrung. Gemäß dem Watzlawickschen „Mehr vom Gleichen“ gilt: Sollte eine Art des Gebens nicht funktionieren, versuchen wir mit einem Mehr davon doch noch unser Ziel zu erreichen:
- Umfassender Erklären
- Die Lautstärke nach oben schrauben
- Das Muli energischer anschieben
Einer Führungskraft dieses Geben, das Sprechen, Begeistern, Anleiten, Erklären und Lösungen finden zu nehmen, gleicht einem Junkie die Droge zu entreißen. Lediglich zuzuhören, um den Mitarbeiter zu fragen, was er braucht und Hilfestellung bei der persönlichen und fachlichen Entwicklung des Mitarbeiters zu spielen, klingt nach Jobverweigerung. Führungskräfte brauchen daher ein Methadon-Programm. Sie sollten ihre „Droge“ nach wie vor nutzen, sich aber gleichzeitig fragen, ob deren Einsatz noch die erwünschte Wirkung erzielt.
Für die meisten liegt es nahe, einen guten Ausgleich für die eigene Psychohygiene im Nehmen beziehungsweise dem Geben der Mitarbeiter zu suchen. Wenn ich mich engagiere, möchte ich auch etwas zurückbekommen gemäß dem berühmten Return of Investment- Modell. Das Geben des Mitarbeiters haben Sie jedoch nicht im Griff. Bereits die griechischem Stoiker um Epiktet empfahlen:„Pack nur Dinge an, die du verändern kannst.“ Sinnvoller ist es deshalb, dem Geben nicht ein Nehmen gegenüberzustellen, sondern ein Begrenzen, um die eigene Kontrolle wieder herzustellen:
- Was bin ich bereit zu geben?
- Zwischen welchen Grenzen liegen meine Angebote?
- Mit welchen Fragen kann ich die Grenzen des Mitarbeiters spielerisch-herausfordernd ausloten und bestenfalls erweitern?
Ohne eine bewusste Begrenzung besteht auf der einen Seite die Gefahr einer Überregulierung, das Mikromanagement alter Schule, auf der anderen Seite die Gefahr des Anpassungseffekts, wodurch Sie Ihre Grenzen stufenweise an die Grenzen der Mitarbeiter anpassen.
Lautet die Alternative, Sie geben Ziele vor (die Obergrenze) und der Mitarbeiter nickt diese ab, macht jedoch aufgrund mangelnder Einsicht nur das Nötigste (die Untergrenze), bieten klar definierte Spielräume der eigenen Erwartungen eine sinnvollere Variante. Besser ist es Ober- und Untergrenzen zur Spielraumbegrenzung offen anzusprechen, um anschließend die Ziele dazwischen auszudiskutieren.
Die einfachsten Grenzen beziehen sich auf zeitliche Absprachen. Ein ehemaliger Chef von mir verzierte Aufträge an mich grundsätzlich mit ,!!!‘: Super Dringend! Nachdem ich mehrmals die Erfahrung machte, dass sich manche super-dringenden Aufgaben nach einer Stunde ohne mein Zutun erledigten, erschienen mir die Grenzen meines Chefs zu vage, um sich angemessen daran zu orientieren. Mit Grenzen zu arbeiten, bedeutet demnach auch, klare Abstufungen der eigenen Grenzen für Wichtigkeit oder Dringlichkeit anzuwenden.
Auszug aus dem Buch: Michael Hübler - "Provokant, authentisch, agil. Die neue Art des Führens. Wie Sie Mitarbeiter humorvoll aus der Reserve locken."
Bild: vm, 2016