Psychische Erkrankungen führen in immer mehr deutschen Unternehmen zu steigenden Ausfallzahlen. Insbesondere in KMU, also in kleinen und mittelständischen Unternehmen werden damit wichtige Faktoren der Gesundheitsvorsorge und der Organisationsentwicklung übersehen. Die Frage lautet also: (Wie) Lassen sich im BGM psychische Belastungen sinnvoll thematisieren?
Der Gesetzgeber hat mit dem Arbeitsschutzgesetz §5 ein Vorgehen vorgeschrieben, dass genau hier ansetzt: Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung (GBpsych).
In der GBpsych wird systematisch geprüft, ob bestimmte psychisch belastende Bedingungen im Arbeitsalltag auftreten. Wenn sogenannte Fehlbelastungen identifiziert werden, werden Maßnahmen zur Belastungsreduktion erarbeitet. Professionell und analytisch durchgeführt, können Unternehmen die GBpsych als BGM-Instrument einsetzen, um Unzufriedenheit und Fehlzeiten gezielt entgegenzuarbeiten und Entwicklungspotenziale von Unternehmen zu identifizieren.
Die Berücksichtigung psychischer Faktoren als integraler Bestandteil strategischen BGMs
Betriebliches Gesundheitsmanagement wird häufig vor allem mit der Bereitstellung von Sportkursen und guten Ernährungsangeboten in Verbindung gebracht. Definitionsgemäß zielt das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) jedoch auf mehr ab. Das BGM verschreibt sich hiernach, der „Entwicklung integrierter betrieblicher Strukturen und Prozesse, die die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit, Organisation und dem Verhalten am Arbeitsplatz zum Ziel haben“. Psychische Faktoren spielen hierbei eine große Rolle.
Die Ausfallzahlen zeichnen ein klares Bild: Laut DAK Gesundheitsreport 2017 ließen sich 17,1 Prozent aller Fehlzeiten auf psychische Erkrankungen zurückführen und waren somit zweithäufigster Grund für Arbeitsunfähigkeitstage. Die Produktionsausfallkosten durch psychische und Verhaltensstörungen werden auf knapp 8,4 Mrd. € im Jahr 2015 in Deutschland beziffert. Derartige Werte lassen das wirtschaftliche Potenzial guter arbeitspsychologischer Maßnahmen im Rahmen des BGM erahnen, so werden andere Folgen psychischer Fehlbelastung, wie Motivationsverluste, Konflikte am Arbeitsplatz oder Unkonzentriertheit gar nicht beziffert.
Nur 13% aller Arbeitgeber bieten jedoch Beratungsangebote an, die spezifisch auf die Bewältigung von Stress oder psychischen Problemen abzielen, wie eine repräsentative Umfrage ergab. Vorrangig würden Augenuntersuchungen und eine Optimierung der Kantinenernährung betrachtet.
Arbeitsumgebung und Arbeitsorganisation werden noch zu selten mit arbeitspsychologischen Ansätzen analysiert und optimiert, um Belastungen zu reduzieren. Soziale Beziehungen werden zwar manchmal im Rahmen eines Teamtags besprochen, aber nur selten in ihrer Tragweite für Gesundheit und Leistungsfähigkeit ernst genommen. Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung (GBpsych) ist eine systematische Analyse dieser Aspekte. Hier werden Arbeitsplätze untersucht, um Faktoren zu identifizieren, die sich derart auf die Psyche auswirken, dass sie der Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Beschäftigten schaden können.
Systematische Analyse der Arbeitsbedingungen - der Ansatz der GBpsych
„Ach hier haben so viele Leute ihre Befindlichkeiten, allen Recht machen kann man es eh nicht“. Ähnliche Sätze hören wir als Arbeitspsychologen oft. Hier wird ein Missverständnis deutlich; wird der Begriff „psychische Belastungen“ fehlinterpretiert. Psychische Belastungen werden oft mit subjektivem Empfinden gleichgesetzt. Das subjektive Empfinden jedes einzelnen gleichermaßen zu berücksichtigen würde es schwer machen praktikable Strategien zur Arbeitsplatzgestaltung abzuleiten. Die Skepsis gegenüber der GBpsych ist bei manchen Führungskräften und BGM-Verantwortlichen daher immer noch groß.
Das Misstrauen ist jedoch unbegründet. Es geht weniger um die Wahrnehmung der einzelnen Person, sondern um eine möglichst neutrale Beschreibung des Arbeitsplatz. Die DIN EN ISO 10075-1 definiert psychische Belastung folgendermaßen: „die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn auswirken.“ Wir sprechen hier also von einem Oberbegriff für Faktoren, wie etwa ungleich verteilte Arbeit, ungeklärten Verantwortlichkeiten, schlechte Informationsweitergabe und häufige Unterbrechungen. Dass eine Kombination derartiger Faktoren sich auf die psychische Gesundheit auswirkt ist sicherlich nachvollziehbar. Eine Arbeitsumgebung hingegen, in der systematisch sichergestellt wurde, dass die Arbeit passend zu den Kompetenzen verteilt ist, die Verantwortungen klar sind, die benötigten Informationen vorhanden sind und bei Bedarf unterbrechungsfrei gearbeitet werden kann, fördert nicht zur Zufriedenheit und Gesundheit der Beschäftigte, sondern am Ende auch die Leistungsfähigkeit der Organisation.
Die Belastungsfolgen hingegen werden unter einem anderen Wort zusammengefasst: Psychische Beanspruchung. Unter psychische Beanspruchung versteht man „die unmittelbare (nicht die langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich individueller Bewältigungsstrategien“ (DIN EN ISO 10075-1). Für Beanspruchungserleben gibt es in vielen Organisationen bereits Anlaufstellen, wie Sozialberatung, employee assistance programs sowie Betriebs- oder Personalrat. Die GBpsych hingegen konzentriert sich nicht auf das Individuum im Einzelnen sondern auf Arbeitsplätze.
Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen
Das Arbeitsschutzgesetz §5 gibt einen Rahmen zur Umsetzung der GBpsych vor.
Das übergeordnete Ziel der Gefährdungsbeurteilung ist es psychische Belastungen durch geeignete Maßnahmen zu reduzieren. Die Gefährdungsbeurteilung erfasst in der Regel grundsätzlich verschiedene Arten psychischer Belastungen. Die GDA empfiehlt etwa die folgenden vier grundlegende Themen, denen insgesamt 16 detailliertere Belastungen untergeordnet werden :
- Arbeitsinhalte (Wie sind die Eigenheiten der Arbeitsaufgabe? Sind die Aufgaben beispielsweise angemessen abwechslungsreich und wird genug Handlungsspielraum eingeräumt?),
- Arbeitsorganisation (Wie wird das Arbeiten durch den organisationalen Kontext unterstützt? Bestehen etwa ausreichend Kooperationsmöglichkeiten und ausreichend Zeit für die Aufgabenerledigung?),
- Soziale Beziehungen (Wie ist die Qualität der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen und wie sind die Beziehungen der Arbeitseinheit zur Führungskraft)
- Physische Arbeitsumgebung (Sind Arbeitsplätze und Arbeitsmittel dazu geeignet die Tätigkeit gut auszuführen)
Eine der wichtigsten Aufgaben für Verantwortliche ist es, die möglichst unverzerrte Erfassung der Belastungsfaktoren mit der GBpsych sicherzustellen. Werden zentrale Einflussfaktoren des Arbeitsplatzes auf die Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft erkannt, können Schwerpunkte für das BGM abgeleitet werden.
Ergebnisse sind nur dann aussagekräftig, wenn das Vorgehen praktikabel ist und von den Beteiligten akzeptiert wird. Damit dies gelingt, müssen Verantwortliche die Durchführung der GBpsych ernstnehmen und prüfen, wie sie in der Organisation am besten umgesetzt werden kann und bei welchen Punkten man sich unter Umständen Unterstützung holen sollte. Viele Unternehmen fangen beispielsweise erst einmal mit dem bewährten Instrument einer Mitarbeiterbefragung an. Die Auswertung und Interpretation entsprechender Ergebnisse ist allerdings nicht trivial, vor allem dann nicht, wenn bei der Konstruktion der Fragebögen wichtige Themen außer Acht gelassen wurden. Unternehmen die nicht über Expert-/innen mit dem nötigen Fachwissen verfügen, kämpfen oft spätestens nach der Erhebung damit, die Ergebnisse nicht einordnen zu können und keine klaren Handlungsempfehlungen generieren zu können. Hier wird hier oft an der falschen Stelle gespart.
Eine professionell durchgeführte GBpsych ermöglicht es psychische Faktoren mit in die Präventionsarbeit einzubeziehen und ganzheitlich daran zu arbeiten, Gesundheit, Motivation und Leistungsfähigkeit zu erhalten. Die GBpsych kann somit ein Fundament eines strategisch ausgerichteten betrieblichen Gesundheitsmanagements sein.
Wie der Prozess einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen konkret ablaufen kann, erfahren Sie unter gefaehrdungsbarometer.de
Bild: JohnnyGreig