Destruktiv sind nicht diejenigen, die ihre Kollegen hintergehen, mobben oder beleidigen – ganz im Gegenteil: Es sind die, die gar nichts machen. Immer mehr Studien belegen, dass ein abwesender Führungsstil, auch Laissez-Faire-Führung genannt, nicht nur der Belegschaft schadet, sondern auch messbare Produktions- und Umsatzeinbußen für das betroffene Unternehmen mit sich bringt.
Ein altes Sprichwort lautet: „Nur wer am lautesten schreit, wird gehört.“ In jeder Organisation ist es so, dass diejenigen Manager, die am meisten Schaden anrichten, deutlich auffallen, sei es in Form von Entwicklungs- oder Disziplinarmaßnahmen. Studien offenbaren jedoch, dass das weitaus destruktivste Führungsverhalten gänzlich unerkannt bleibt: der abwesende Führungsstil.
Abwesende Führungskräfte mögen körperlich anwesend sein, bieten ihren Untergebenen jedoch keinerlei Orientierung. Es sind Menschen, die aktiv keinen Ärger verursachen; die Schäden, die sie anrichten können, bleiben deshalb häufig unbemerkt. Ebenso erhalten sie keine Entwicklungsprogramme, die für ein Umdenken erforderlich wären. Nach dem vorläufigen Forschungsstand von Hogan Assessments gelten diese Führungspersönlichkeiten als extrem vorsichtig und zögerlich – Eigenschaften, durch die der Einzelne nicht aus der Masse heraussticht. Da abwesende Führungskräfte selten durch grob fahrlässiges Verhalten auffallen, entgehen sie Korrekturmaßnahmen. In der Folge verstärkt sich im Lauf der Zeit ihr negativer Einfluss auf Organisationen und ein Gegensteuern wird zunehmend schwieriger.
Einer der stärksten Indikatoren für einen abwesenden Führungsstil sind unmotivierte Mitarbeiter. Wenn Mitarbeiter sich unzufrieden über ihren Arbeitsplatz äußern, jedoch keine offensichtlichen Managementprobleme erkennbar sind, ist wahrscheinlich Absentismus das Problem. In einer Studie von 2015 über Beschwerden von Arbeitnehmern wurde eine direkte Beziehung zu abwesendem Führungsstil erkannt. Die Studienteilnehmer berichteten über einen Mangel an Anerkennung oder konstruktivem Feedback, unklaren Erwartungen oder Direktiven und beklagten, dass ihre Vorgesetzten zu wenig Zeit für den direkten Dialog mit Untergebenen aufbrächten.
Eine Studie von Gallup errechnete kürzlich, dass unmotivierte Mitarbeiter der deutschen Wirtschaft 105 Milliarden Euro an Produktivität im Jahr kosteten – 70 Prozent der Befragten gaben an, keine emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber zu haben. Einer der Hauptgründe ist fehlendes Feedback. Ungefähr 40 Prozent der deutschen Arbeitnehmer wünschen sich mehr Rückmeldungen von ihren Vorgesetzten, Tendenz – insbesondere unter der „Gen Y“ – steigend.
Abwesende Führungskräfte sind in Organisationen allgegenwärtig. Einer der Hauptgründe ist, dass es Unternehmen generell schwerfällt, gute Führungskräfte zu identifizieren. Arbeitnehmer werden häufig befördert, weil sie sich nichts zuschulden haben kommen lassen oder weil sie beliebt sind. Ein guter „Corporate Citizen“ zu sein ist jedoch nicht zwangsläufig mit gutem Führungsstil gleichzusetzen. Darüber hinaus wissen beförderte Mitarbeiter oft nicht, was Führen bedeutet. Die Anforderungen der Position, für die sie einst eingestellt wurden, mögen sie gut erfüllen, doch mangelt es ihnen an Führungskompetenz oder entsprechender Erfahrung. Und schließlich spielt auch die Unternehmenskultur eine gewisse Rolle: Feedback wird häufig unterbewertet. Denn konstruktiv Rückmeldung zu geben, ist eine gewisse Kunst. Aus Angst, Mitarbeiter zu kränken, schrecken viele Führungskräfte davor zurück, Verhalten zu korrigieren.
Risikofaktor Absentismus: Fünf Folgen für Organisationen
1. Unklar definierte Aufgaben: Abwesende Führungskräfte versäumen es, ihrem Team Ziele zu setzen. Dadurch erhöht sich für die Arbeitnehmer die Unsicherheit, was genau von ihnen erwartet wird. Als Konsequenz wird viel Energie darauf verwendet, den eigenen Verantwortungsbereich zu definieren, anstatt zielgerichtet zu handeln.
2. Geringe Zufriedenheit am Arbeitsplatz: Fehlendes Feedback eines abwesenden Vorgesetzten kann dazu führen, dass sich Arbeitnehmer unterbewertet fühlen oder sich ihrer Funktion unsicher sind. Geringe Arbeitszufriedenheit steht in direktem Zusammenhang mit sinkender Produktivität und somit spürbaren Verlusten für Unternehmen.
3. Gesundheitliche Probleme: Der Stress durch abwesende Führungskräfte äußert sich durch eine gestiegene Zahl derer, die innerlich gekündigt haben. Die gesundheitlichen Folgen sind vielfältig: Angststörungen und Depressionen, Bluthochdruck und Magen-Darm-Erkrankungen sind häufig zu beobachten.
4. Burnout: Einer Gallup-Umfrage zufolge gehören unklar definierte Aufgaben und fehlende Kommunikation und Unterstützung von Vorgesetzten zu den Hauptursachen für Burnout-Syndrome. Fehlt ein klarer Führungsstil, werden die Arbeitnehmer übermäßig belastet. Die Folgen sind wachsende Erschöpfung und Zynismus.
5. Abwanderungstendenzen: Der häufigste Grund, den Arbeitgeber zu wechseln, ist schlechter Führungsstil. Einer Studie über destruktives Führungsverhalten zufolge hatten die Arbeitnehmer doppelt so häufig mit abwesenden Führungskräften zu kämpfen als mit anderen Formen schlechten Führungsstils.
Scott Gregory, CEO von Hogan Assessments, beschäftigt sich mit abwesendem Führungsstil seit fast 30 Jahren. Er sagt: „Auch wenn die Auswirkungen auf Mitarbeiter bekannt sind, gibt es wenige Organisationen, die systematisch abwesende Führungskräfte identifizieren und entsprechende Konsequenzen daraus ziehen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Ihre Organisation abwesende Führungskräfte noch gar nicht erkannt hat, denn in der Regel bewegen sie sich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle und verhalten sich unauffällig.“ Mithilfe objektiver Leistungsmessverfahren, wie etwa Persönlichkeitstests, können solche latenten Verhaltenszüge erkannt werden. Scott Gregory: „Wenn Ihre Organisation eine der verhältnismäßig wenigen mit wirksamen Auswahl- und Aufstiegsmethoden ist, besteht die Möglichkeit, dass effektive und destruktive Führungskräfte erkannt werden.“