Selbstbewußte und charismatische Menschen gelten als Führungspersönlichkeiten – intelligent, interessant und interessiert. Doch nicht selten richten solche Menschen in Unternehmen erheblichen Schaden an. Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass Bescheidenheit eine wichtigere Eigenschaft in der Führungsetage ist als Charisma.
Sogenannte „Manager-Typen“ werden in Unternehmen ganz allgemein bevorzugt. Personen, die sich gut verkaufen können und interessant sind, dazu noch politisch gebildet; ihnen ist ein Platz auf der Karriereleiter sicher. Sie wissen, wie man vorankommt und welche Strippen sie ziehen müssen, um wahrgenommen zu werden. Sie gehen dabei ganz strategisch vor und hofieren ihre potenziellen Förderer in der Hoffnung, durch Macht, Einfluss, Status und besondere Vorteile belohnt zu werden.
Charisma versus Bescheidenheit
Charisma – das ist die Fähigkeit eines Menschen, charmant und fesselnd zu sein, eine Person, deren Nähe man sucht. Charismatische Persönlichkeiten üben eine natürliche Anziehungskraft auf ihre Umgebung aus, denn sie versprechen einen angenehmen Umgang. Solche Menschen neigen allerdings auch dazu, sich selbst und ihre Fähigkeiten zu überschätzen. Sie sind die besseren Selbstdarsteller, besser jedenfalls als andere. Ein Zuviel an Charisma wiederum kann sich negativ auf den Führungsstil auswirken und ihm seine Effizienz rauben, denn auf narzisstische Neigungen reagieren Untergebene durchaus empfindlich.
Im Grunde ist Charisma ein zweischneidiges Schwert. Ein Mangel äußert sich durch fehlende Überzeugungskraft. Es gelingt nicht, das Team auf die eigene Vision einzuschwören. Charisma im Übermaß dagegen führt dazu, dass sich das Team alleingelassen und abgehängt fühlt. Teilweise lassen sich Charisma und Narzissmus auch schwer voneinander abzugrenzen: Charme kann leicht in Arroganz und Selbstüberschätzung abgleiten.
Bescheidenheit wiederum ist von elementarer Bedeutung. Sie ist es letztendlich, die innerhalb von Teams für Stabilität und Engagement sorgt. In einer der berühmtesten Studien zu dem Thema wurde der Erfolg von elf führenden Unternehmen näher untersucht. Zwei Hauptmerkmale wurden dabei identifiziert, die die Vorstände der leistungsstärksten Unternehmen auszeichneten: Auf der einen Seite waren sie unnachgiebig und kämpferisch, im persönlichen Bereich dagegen bescheiden.
Bescheidenheit: Das Gegenmittel bei schlechtem Führungsstil
Bescheidenheit im Kontext von Führungsverhalten und unternehmerischem Erfolg ist ein noch relativ junger Forschungsgegenstand, was wohl in erster Linie auch daran liegen mag, dass bescheidene Führungskräfte üblicherweise nicht auffallen. Erste Ergebnisse lassen jedoch erkennen, dass bescheidene Führungskräfte förderlich für die innerbetriebliche Zusammenarbeit sind und innerhalb ihres Teams ein hohes Ansehen genießen. Auch verspricht das von ihnen geschaffenen Arbeitsumfeld ein höheres Maß an Zufriedenheit und Produktivität. Wenngleich das Forschungsthema noch relativ am Anfang steht, gibt es in Sachen Messbarkeit bereits valide Kriterien. Nach vorläufigem Forschungsstand lässt sich Bescheidenheit anhand folgender Eigenschaften bestimmen: Anstand, Aufrichtigkeit, Kritikfähigkeit, Anerkennung anderer und eine nur schwach ausgeprägte Arroganz bzw. Narzissmus.
Tatsächlich lässt sich unter deutschen Politikern beobachten, dass ausgesprochen un-, wenn nicht gar anticharismatische Staatschefs die längste Amtszeit vorweisen konnten mit einem Regierungsstil, der sich durch Stabilität und Erfolg kennzeichnen lässt. Beispiele sind Konrad Adenauer, Helmut Kohl oder Angela Merkel. Charismatische Führungspersönlichkeiten dagegen werden seit jeher von Politexperten mit Vorsicht betrachtet, etwa dann, wenn junge, attraktive Persönlichkeiten in Führungspositionen gewählt werden. Sebastian Kurz, der neue österreichische Bundeskanzler, wäre ein solches Beispiel. An Eloquenz mangelt es ihm nicht und er ist ein PR-Profi. Kritiker verweisen jedoch auf seine fehlende politische Erfahrung und werfen ihm Oberflächlichkeit vor.
Erste Untersuchungsergebnisse betonen die Bedeutung von Bescheidenheit für den Führungsstil
Hoffnung besteht für all jene, denen Bescheidenheit nicht bereits in die Wiege gelegt wurde: Nach dem bisherigen Forschungsstand können stark charismatische Führungspersönlichkeiten Antipathie auslösende Persönlichkeitsmerkmale ausgleichen, wenn sie Bescheidenheit erkennen lassen. Ein gewisses Maß an Bescheidenheit reicht bereits aus, um als ansonsten narzisstischer Vorgesetzter zugänglicher, hilfsbereiter, sogar kritikfähiger betrachtet zu werden.
Die Forschungsberaterin für Hogan Assessment, Dena Rhodes, formuliert es so: „Bescheidenheit hat die Fähigkeit, die eventuellen negativen Auswirkungen narzisstischen Verhaltens so weit abzumildern, dass für Unternehmen dennoch etwas Positives herauskommt. An der narzisstischen Persönlichkeitsstruktur des Einzelnen mag sich nichts geändert haben; nichtsdestotrotz kann diese Person erfolgreich führen, solange ihr Bescheidenheit nachgesagt wird.“
Das Gute an dieser Erkenntnis ist, dass auch maßlos überhebliche Führungspersönlichkeiten ihre Erfolgsaussichten dadurch steigern können, dass sie Bescheidenheit zumindest andeuten.
Empfehlungen zur Umschiffung der Charisma-Falle:
1) Rücken Sie andere ins Rampenlicht: Motivieren Sie Ihre Umgebung – durch die Anerkennung der Leistungen Ihres Teams und Ihrer Mitarbeiter ist bereits viel gewonnen.
2) Arbeiten Sie an Ihrer Selbsterkenntnis: Versuchen Sie, Ihre Grenzen kennen zu lernen und geben Sie eigene Fehler zu.
3) Kritikfähigkeit: Ein wesentliches Merkmal für Bescheidenheit ist Lernfähigkeit, Offenheit für Kritik und die Erkenntnis, dass man nicht immer recht haben kann.
4) Hand aufs Herz, wie stehen Sie zu Hierarchiedenken? Die Anerkennung im Kollegenkreis steht Ihnen nicht automatisch zu, sie muss erarbeitet werden.
5) Beobachten Sie sich kritisch: Wichtig ist, gut auszukommen, nicht gut voranzukommen.