Autoren:
Jörg de Wall, Partner SELECTEAM Deutschland GmbH
Oliver Grubert, Partner SELECTEAM Deutschland GmbH
Können Blind Auditions im Recruiting einen Mehrwert liefern, um bessere Personalentscheidungen zu treffen? Das wäre ja zu schön, um wahr zu sein … einfach subjektive und einflussrelevante Kriterien ausblenden und schon ist die Personalentscheidung in bester Weise getroffen. Die Antwort ist also ein klares Jein. Doch was spricht für und was gegen den Einsatz dieser oder vergleichbarer Verfahren? Aber der Reihe nach.
Blind Auditions – also Blindgutachten oder die Bewertung einer Leistung ohne die Zuhilfenahme des visuellen Systems – sind vor allem aus der Musik bekannt. Viele denken dabei wahrscheinlich an das TV-Format „The Voice of Germany“. Das Verfahren ist aber schon seit den 1950er-Jahren bekannt und wird seit den 70er- und 80er-Jahren vermehrt von Top-Symphonie-Orchestern in den USA eingesetzt. Es dient dazu, eine Vorauswahl zu treffen, zum Teil wird es aber auch für die finale Entscheidung genutzt.
In der Studie ORCHESTRATING IMPARTIALITY: THE IMPACT OF “BLIND” AUDITIONS ON FEMALE MUSICIANS aus dem Jahr 2000 wurden die Auswirkungen von Blind Auditions in diesen Orchestern auf Musikerinnen untersucht und die Ergebnisse dieser Verfahrensweise veröffentlicht. Unter anderem
- wurde durch Blindgutachten die geschlechtsspezifische Einstellung reduziert,
- verringerte sich die Wahrscheinlichkeit, dass Musikerinnen in den Vorrunden ausscheiden,
- erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit, dass eine Musikerin in die nächste Runde gelangt, um elf Prozentpunkte und dass sie in der Endrunde ausgewählt wurde, um 30 Prozent,
- stieg der Frauenanteil bei Neueinstellungen von 1970 bis in die 90er-Jahre ebenfalls um 30 Prozent.
Die Musikerinnen waren in diesem Kontext offensichtlich besser als ihre männlichen Kollegen!
Die Studie zeigte damit deutlich, dass unsere Entscheidungen durch die visuelle Wahrnehmung beeinflusst werden. Bei diesen Blind Auditions geht es im Grundsatz darum, Wahrnehmungsfehler durch die Fokussierung auf das akustische System zu eliminieren, um so die Performance des Orchesters zu steigern.
Erfahrungen und subjektive Wahrnehmungen beeinflussen Entscheidungen
Jeder Mensch hat unterschiedliche Wahrnehmungen, die durch in unserem Gehirn verankerte (Vor-)Erfahrungen genährt werden. So ist z. B. die Amygdala als Teil unseres Gehirns auch der Ort unbewusster Wahrnehmung emotionaler kommunikativer Signale (Blick, Mimik, Gestik, Körperhaltung). Diese Wahrnehmung wird in den ersten Lebensjahren entwickelt. Umgangssprachlich, aber unzutreffend, werden unbewusste Wahrnehmungen als Bauchgefühl bezeichnet. Jede Entscheidung – auch Personalentscheidungen – treffen wir bewusst oder unbewusst unter Zuhilfenahme unserer Erfahrungen. Im Idealfall sollten Personalentscheidungen aber frei von persönlichen Wahrnehmungsfehlern und Verzerrungen (z.B. Halo-Effekt, Attributionsfehler, Stereotypen) sein, um Fehlentscheidungen zu vermeiden.
Die Fragestellung wie sie z. T. in Artikeln vereinfacht diskutiert wird, ob man sich die Zusammenarbeit mit Kandidaten (m/w/d) in einer Abteilung, einem Gremium, einem Workshop etc. vorstellen kann, ist im Hinblick auf Personalentscheidungen unzureichend. Die Beantwortung dieser Frage wäre nur durch eigene Erfahrungen geprägt. Eine Aussage über zukünftigen beruflichen Erfolg kann damit nur unter hoher Unsicherheit getroffen werden.
Können wir Blind Auditions auf das Recruiting übertragen?
Beim Recruiting neuer Musiker scheinen Blindvorspiele geeignet. Die Gütekriterien für Testverfahren werden berücksichtigt. Objektivität, Reliabilität und Validität sind gewahrt, da eine Entscheidung unabhängig von den Einflüssen der Untersucher und der Situation zustande gekommen ist, das Merkmal der musikalischen Virtuosität (und genau nur dieses Merkmal) durch die zukünftigen Kollegen zuverlässig gemessen wird.
Perspektivwechsel zum Recruiting für Unternehmen: Stellen Sie sich vor, Ihre Kandidatenvorschläge enthalten nur Fakten zur fachlichen und persönlichen Qualifikation und keine persönlichen Daten oder individuellen Merkmale (Name, Geschlecht, Alter, Aussehen, Gewicht, Religion, Gesundheit etc.). In der Praxis unvorstellbar? Kandidaten-Interviews werden wohl höchst selten hinter einem blickdichten Vorhang geführt. Einer der führenden deutschen Lebensmittel-Discounter hat gleichwohl auf einer Karrieremesse in Köln unlängst Personaler des Konzerns mit Interessenten in eine „Blackbox“ gesteckt – das Bewerbungsgespräch in völliger Dunkelheit. Eine Mischung aus aufmerksamkeitsstarker Messeaktion und interessantem Test für objektivere Ergebnisse in der Eignungsdiagnostik. Belastbare Erkenntnisse sind nicht bekannt. Und natürlich wissen wir alle, dass es auch Führungspositionen gibt, bei denen subjektive Einschätzungen den objektiven Merkmalen für die erfolgreiche Ausübung des Jobs definitiv übergeordnet werden.
Und nun? Die Entscheidung für oder gegen eine potenzielle Führungskraft sollte objektiv sein und wird in der Realität vielfach aus objektiven Kriterien und subjektiver Wahrnehmung getroffen. Diesen methodischen Spagat und die Beachtung der relevanten Gütekriterien beherrschen professionelle Personalberater. Sie haben die Fähigkeit, Kandidaten auch ohne Vorhang oder Dunkelheit objektiv zu beurteilen und dieses Ergebnis mit subjektiven Kriterien zu verbinden. So führen sie sich bei Lektüre von Unterlagen oder in den Interviews mögliche Wahrnehmungsfehler, die eine Beeinträchtigung der Gütekriterien zur Folge hätten, immer wieder vor Augen.
Eignungsdiagnostik ist keine Küchenpsychologie. Erfahrene Personalberater haben neben der Kenntnis um (eigene) Wahrnehmung zusätzlich umfangreiche eignungsdiagnostische Tools, die idealerweise auf wissenschaftlichen Langzeitstudien beruhen. Zusätzlich können onlinegestützte eignungsdiagnostische Verfahren hilfreich sein, um Auswahlentscheidungen zu objektivieren und die Transparenz zu erhöhen – dazu gehören die DNLA-Verfahren.
DNLA-Verfahren wissenschaftlich fundiert
DNLA bedeutet „Discovering Natural Latent Abilities“ und sind onlinegestützte Personal-Entwicklungs- und -Auswahlverfahren. Sie basieren sowohl auf vielfältigen Erfahrungen der Arbeitswelt als auch auf Forschungen und Erkenntnissen im Bereich der Arbeitspsychologie.
Basierend auf der Grundlagenforschung zum Berufserfolg unter der Leitung von Prof. Brengelmann am Max-Planck-Institut wurde ein Modell entwickelt, das 17 Faktoren der sozialen Kompetenz definiert. Darauf aufbauend wurde von einem Team von erfahrenen Personalfachleuten, Trainern, Unternehmensberatern und EDV-Spezialisten das DNLA-Expertensystem entwickelt, das nach DIN 33430 für berufsbezogene Eignungsdiagnostik zertifiziert ist. Mit diesem System ist es möglich, anhand der definierten Faktoren Persönlichkeiten zu erkennen, deren Potenzial geeignet ist, um zukünftig beruflich erfolgreich zu sein.
Fazit: Höhere Unternehmensperformance durch Blind Auditions
Die Methode der Blind Auditions und damit das Ausblenden bestimmter Kandidaten-Merkmale kann unter gleichzeitiger Beachtung der Gütekriterien ein probates Mittel zur Steigerung der Unternehmensperformance sein: Bei Personalauswahlentscheidungen sind eignungsdiagnostische und wissenschaftliche Tools wie strukturierte Interviews und zusätzliche onlinebasierte Tools wie die DNLA-Verfahren unbedingt erforderlich. Durch diese steigt die Aussage über den zukünftigen beruflichen Erfolg, also die prognostische Validität, erheblich. In der idealen Welt sollten Auswahlentscheidungen insgesamt nur auf Testergebnisse bezogen und an das Anforderungsprofil gekoppelt sein – sonstige Kriterien sollten entfallen. Die vielfach gewünschte Diversität in Unternehmen würde sich auf diese Weise womöglich von selbst ergeben.