Die Wirtschaftsexperten und die humanitären Institutionen sind sich einig. Es muss eine rasche Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen respektive von Asylbewerbern gewährleistet werden. Eine zügige Integration in den Arbeitsmarkt führt dabei nicht nur dem Arbeitsmarkt dringend benötigtes Potenzial zu, sondern ist zudem ein entscheidender Baustein zur gesellschaftlichen Integration. Daher kommt es darauf an, das Potenzial der Flüchtlinge mit Bleibeperspektive frühzeitig zu erkennen. Als hilfreiche bzw. wertvolle Instrumente könnten sich hier eignungsdiagnostische Verfahren und Screenings erweisen. Erste Modellversuche haben diesbezüglich angedeutet, dass mittels eben dieser Methoden individuell gezielter und vor allem auch weitaus schneller die Qualifikationen der Flüchtlinge ermittelt werden könnten. Und diese rasche Identifizierung von Potenzialen und Talenten wäre dann genau schon einmal die entscheidende Voraussetzung, um Flüchtlinge mit Bleibeperspektive einen raschen Zugang zu Bildung und beruflicher Qualifikation sowie zur Arbeitsmarktintegration zu ermöglichen.
Mittelfristig können Flüchtlinge den deutschen Arbeitsmarkt beleben
Denn eins steht fest. Deutschland muss mit dieser Problematik geschickter und souveräner umgehen als etwa in den 1990er Jahren. Auch damals registrierten die deutschen Behörden einen eklatanten Anstieg von Flüchtlingen bzw. von Asylbewerbern. Aber lediglich rund zwölf Prozent dieser Personengruppen konnten damals in den Arbeitsmarkt integriert werden. Eine erschreckend niedrige Zahl; aktuell hoffen Politiker und Wirtschaft auf eine Einbindung von mindestens 25 bis 30 Prozent der Asylbewerber in den deutschen Arbeitsmarkt. So könnten Flüchtlinge zeitnah integriert werden, mittelfristig den deutschen Arbeitsmarkt beleben und auch einen Beitrag zur Fachkräftesicherung in deutschen Unternehmen leisten.
Schwierigkeiten beim Ermitteln von Qualifikationen und Talenten
Bislang wird aber noch reichlich Zeit bei der Bestimmung und Ermittlung der beruflichen Qualifikationen sowie auch des Bildungsniveaus vergeudet. Dies liegt vor allem daran, dass es bislang an entsprechenden Bewertungskriterien mangelte. Denn die große Mehrheit der Flüchtlinge verfügen über keinerlei Nachweise über formale Berufs- und auch Bildungsabschlüsse. Momentan bilden oftmals lediglich Selbstauskünfte die Basis zur Erhebung der beruflichen Qualifikation. Zudem werden sonstige Eignungs- bzw. Qualifikationsmerkmale bisher kaum berücksichtigt. Denn neben aussagekräftigen Zeugnissen, Lebensläufen oder Zertifikaten kommt es schließlich auch auf die sozialen Kompetenzen der Flüchtlinge an. Im Berufsleben respektive bei der Besetzung von Arbeitsplätzen sind nämlich nicht nur die jeweiligen Qualifikationen entscheidend. Stattdessen genießen auch die sozialen Wahrnehmungskompetenzen, das persönliche Selbst- und Stimmungsmanagement, die Kommunikationsfähigkeit, das Beziehungsmanagement, die Konflikt- und Kritikfähigkeit, die Team- und auch die Führungskompetenzen – zusammenfassend werden diese als Soft Skills bezeichnet – Priorität, wenn es um eine aktive Rolle in der Arbeitswelt sowie auch im gesellschaftlichen Leben geht.
Psychometrische Tests identifizieren fachliche Eignung und Potenziale
Hier werden ganz klar funktionelle Instrumente benötigt, die dafür prädestiniert sind, an großen Fallzahlen effizient und zuverlässig berufliche Qualifikationen, Talente sowie die jeweiligen sozialen Kompetenzen zu identifizieren. Die zu Grunde liegende Methodik muss dabei so konzeptioniert sein, dass die jeweils individuellen Talente und die vorhandenen Ressourcen mit den Anforderungen und speziellen Gegebenheiten des hiesigen Arbeitsmarktes abgeglichen werden können. Dabei dürfen dann aber eben nicht nur die reinen auf Bildung und Ausbildung beruhenden Kriterien berücksichtigt werden. Dieser Ansatz greift zu kurz, da individuelle Talente und Vorlieben hier schlichtweg nicht berücksichtigt werden. Vielmehr sollten Instrumente und Methoden eingesetzt werden, anhand derer auch die jeweils individuellen Talente und Soft Skills der Flüchtlinge herausgefiltert werden können. Psychometrische Tests könnten hier genau die richtigen Inhalte und Möglichkeiten bieten, um die generelle fachliche Eignung sowie die Talente und die Sozialkompetenz der Flüchtlinge zu ermitteln. Alleine aufgrund dieses Wissens können dann entsprechend individuelle Qualifikations- bzw. Bildungsmaßnahmen eingeleitet werden, die genau die jeweils expliziten Talente und Potenziale fördern. Die Identifizierung der individuellen Fähigkeiten, Talente und Sozialkompetenzen von Flüchtlingen wird aktuell aber noch vernachlässigt; auch über eventuell vorliegende Unterlagen können diese nicht kommuniziert werden. Die Eignungsdiagnostik von Flüchtlingen via psychometrischer Tests könnte genau diesen Mangel beseitigen.
Von computergestützten Verfahren und webbasierten Lösungen
In der Regel beinhalten die entwickelten psychometrischen Tests im Rahmen einer umfassenden Eignungsdiagnostik für Flüchtlinge und Asylbewerber eine ganze Reihe von Aufgabenstellungen, Fragen sowie praxisbezogenen bzw. praktischen Arbeiten. Die diesbezüglichen Ergebnisse bilden dann die Grundlage für eine detaillierte Beurteilung im Hinblick auf Befähigung, Wissen, Erfahrung, Sozialkompetenzen und auch Persönlichkeit der getesteten Person. Dabei lassen sich psychometrische Tests in zwei Hauptgruppen mit jeweils unterschiedlicher Schwerpunktthematik unterteilen: dem Eignungs- und Befähigungstest sowie dem Persönlichkeitstest. Tests dieser Art können einerseits als computergestütztes Verfahren durchgeführt werden, was eine detailliertere und überaus exakte Auswertung und Interpretation gewährleistet. Aber auch webbasierte Lösungen könnten hier Anwendung finden. Dabei werden dann neben allgemeinen sowie spezifischen kognitiven Fähigkeiten auch berufsrelevante Persönlichkeitsmerkmale und berufsbezogene Interessen objektiv und valide gemessen; außerdem wird im Laufe des Tests eine basale Feststellung hinsichtlich der vorhandenen deutschen Sprachkompetenz formuliert.
Sprachbarrieren stellen kein Hindernis beim Testverfahren dar
Bislang zeigten sich oftmals vor allem auch Sprachprobleme bzw. -barrieren als Hemmschuh bei der Identifizierung von Talenten und Potenzialen der Flüchtlinge. Die neuen psychometrischen Tests laufen daher zu einem großen Teil sprachfrei ab; vielmehr wird explizites Bildmaterial für die Diagnose benutzt. Bei Fragestellungen und Aufgaben, bei denen aber nicht auf Sprache verzichtet werden kann, können die Teilnehmer dann zwischen verschiedenen Sprachen wählen. So könnte eine entsprechende Kompetenzanalyse dann in der Muttersprache der jeweiligen Flüchtlinge, die der deutschen Sprache noch nicht mächtig sind, erfolgen. Die bereits auf Ebene einzelner Bundesländer eingesetzte Kompetenzanalyse für Flüchtlinge CAIDANCE-R der HR Diagnostics AG bietet z.B. neben der Weltsprache Englisch auch die Möglichkeit einer Bearbeitung Arabisch und Farsi (Persisch). Mittelfristig sollen weitere Sprachversionen zur Verfügung stehen. Bei Tests dieser Art werden insgesamt folgende Fähigkeiten und Kompetenzen diagnostiziert: - Problemlösefähigkeit, - Bearbeitungsgeschwindigkeit, - Konzentrationsleistungen / Gedächtnisvermögen, - Kopfrechnen, - Kreativität, - Integrität, - Gewissenhaftigkeit, - Motivation, - Lernbereitschaft, - soziale Kompetenzen.
Potenzialanalyseverfahren adressieren genau die entscheidenden Erfolgsfaktoren
Mittels entsprechender Kompetenz- und Potenzialanalyseverfahren, bei denen es eben nicht zu Sprachproblemen und den daraus resultierenden Übertragungsfehlern kommt, können natürlich vorhandene Potenziale aufgedeckt werden; es kann also quasi eine Erfolgsprognose gestellt werden. Dabei befassen sich diese Tests bzw. Analyseverfahren vorzugsweise mit den sozialen und emotionalen Faktoren, die eine Person berufsbezogen aufweist. Denn während Qualifikationen, Berufserfahrungen und Berufswünsche noch einigermaßen einfach direkt ermittelt und erfragt werden können, entscheidet die Ausprägung von „weichen Erfolgsfaktoren“, wie leistungsfähig, motiviert und engagiert wir sind. Ein Testmodell und ein Diagnostikverfahren in diesem Bereich basiert diesbezüglich zum Beispiel auf einer Reihe von Studie, die am Max-Planck-Institut für Psychologie durchgeführt wurden, und in denen der Frage nachgegangen wurde, ob es signifikante Unterschiede im Antwortverhalten von erfolgreichen und weniger erfolgreichen Menschen gibt. Kurzum: Laut der Studie gibt es diese, und bis heute bilden die identifizierten Unterschiede im Antwortverhalten die eigentliche Basis zur Ermittlung der Erfolgsfaktoren. Als die 17 Erfolgsfaktoren im Bereich der „Sozialen Kompetenz“, die am stärksten mit verschiedenen Kriterien für Beruflichen Erfolg (z.B. Qualität der geleisteten Arbeit, Potenzial für Weiterentwicklung, Teamfähigkeit) zusammenhängen wurden unter anderem „(Eigen-)Initiative“, Auftreten, Kontaktfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Flexibilität, Leistungsdrang, Misserfolgstoleranz und Kritikstabilität, Motivation, und Statusmotivation identifiziert. Sie sind heute Teil des Messinstruments und Potenzialanalyseverfahrens DNLA - Discovering Natural Latent Abilities das auf genau diesen Forschungsergebnissen beruht und das in derzeit 21 Sprachen verfügbar ist – darunter Englisch, Spanisch, Französisch, Arabisch und Russisch, aber beispielsweise auch Serbisch, Kroatisch, Mazedonisch, Slowenisch oder Rumänisch. So lässt sich die soziale Kompetenz der Flüchtlinge in den Segmenten Leistungsdynamik, Erfolgswille, interpersonelles Umfeld sowie Belastbarkeit offenlegen. Dies wird bereits seit langem überall dort erfolgreich praktiziert, wo Menschen zusammen arbeiten und gemeinsam etwas erreichen wollen – und das sind nicht nur Wirtschaftsunternehmen, sondern auch Schulen, Bildungseinrichtungen, karitative und soziale Einrichtungen, Krankenhäuser, Dienststellen im Öffentlichen Sektor.
Referenzen liegen bereits vor - Testergebnisse stimmen mit expliziten Einschätzungen überein
Ein entsprechender Test zur Sozialkompetenzmessung wurde im Mai 2016 bereits von der Volkshochschule Landkreis Hof in VHS-Deutschkursen mit erwachsenen Migranten erfolgreich erprobt. Dabei nahmen an der von einer spanisch sprechenden Bundesfreiwilligendienstleistenden durchgeführten Befragung vier arabisch sprechende Personen teil. Die aus der Befragung resultierenden Erkenntnisse wurden bei einem Auswertungsgespräch von den VHS-Kursleitern, die aus dem VHS-Unterricht alle vier getesteten Teilnehmer gut kennen, beurteilt. Dabei wurde deutlich, dass sich die persönlichen Einschätzungen der VHS-Kursleiter nahezu vollumfänglich mit den Testergebnissen deckten. Diese bereits sehr guten Praxiserfahrungen bestätigt auch Bernd Koller, Präsident des DRK Kreisverband Schaumburg e.V., einem der Projektpartner von DNLA. Er schreibt: „Sehr hilfreich ist es, dass alle Personen das Verfahren überwiegend in Arabischer Sprache als Muttersprache bzw. in Englischen durchführen konnten. Die Ergebnisse stehen dann quasi auf Knopfdruck in deutscher Sprache zur Verfügung. Dies ermöglicht den Ausbildern und Sozialarbeitern, Entscheidern in der Flüchtlingsarbeit, Vertretern von Bildungsträgern oder aber behandelnde Psychologen eine direkte Einschätzung der Hilfesuchenden. Somit können neben Vermittlungs- und Umsetzungsmaßnahmen, auch Ausbildungsvorbereitende Maßnahmen, schon bei uns in der Aufnahmestation getroffen und mit einer Akte den Flüchtlingen quasi an die Hand gegeben werden, so sie die Notaufnahme verlassen. Und natürlich ist auch ggf. eine schnellere und gezieltere Integration in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt möglich. Dies spart Zeit, ermöglicht eine faire, bundesweit einheitliche Beurteilung und führt zudem zur Kostenreduzierung durch kürzere Verweilzeiten. Dies hilft natürlich auch den Flüchtlingen erheblich. Der Aufwand unsererseits sowie die entstandenen Kosten sind sehr überschaubar. Der Nutzen ist unbestreitbar, von daher ist das das Verfahren in unseren Augen sehr zu empfehlen.“ Dieser Prozess hat bereits zu weiteren Erfolgen geführt. So besteht zum Beispiel mittlerweile auch schon Kontakt zu verschiedenen Projektpartnern und privaten Initiativen in den Niederlanden, die „werken zonder grenzen“ – „Arbeiten ohne Grenzen“ – ermöglichen wollen. Die Reise ist hier also noch lange nicht zu Ende – es gibt noch vieles, was getan werden kann und muss, aber die genannten Initiativen sind auf einem guten Weg dazu!
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