Woher wissen Sie, was genau ein Mitarbeiter kann?
Eine der Aufgaben, der ein Human Resources- Manager permanent gegenübersteht, ist es Potentiale zu erheben. Das heißt, er ist verantwortlich dafür Stärken, Schwächen und Lernfelder von Mitarbeitern zu ermitteln. Vom Personaler wird beständig gefordert zu beschreiben:
- Was konkret ein Mitarbeiter gut kann
- Was konkret er zu lernen hat
- Wofür welcher Mitarbeiter in welcher Zeit und mit welchen Anforderungen geeignet ist.
Dieses Aufgabenfeld nennt sich Eignungsdiagnostik. Die gute Nachricht: Zur Unterstützung bei dieser verantwortungsvollen Diagnostik gibt es vielfältige Werkzeuge. Die schlechte Nachricht: Auf dem Markt finden sich Hunderte von Tools, deren Güte man nur schwerlich einschätzen, beurteilen und bewerten kann. Jedes dieser Tools wird vollmundig als „fundiert“ beschrieben. Doch stimmt das wirklich? Worauf kommt es an? Wann ist ein Werkzeug tatsächlich fundiert? Diesen Fragen wollen wir in unserem heutigen Beitrag auf den Grund gehen.
Für welches Werkzeug sollten Sie sich entscheiden?
Vor ein paar Wochen traf ich eine befreundete HR- Leiterin. Sie erzählte mir, sie stünde vor der Aufgabe, sich für ein Personaldiagnostik-Werkzeug zu entscheiden. Dieses solle schnell, kostengünstig – und vor allem nutzbringend Potenziale bei zukünftigen Führungskräften messen. Sie hatte sich bereits auf den entsprechenden Portalen im Netz umgesehen und sich Empfehlungen von Kollegen eingeholt. Auf diese Weise hatte sie eine Vorauswahl von ungefähr acht Werkzeugen getroffen, die sie näher betrachten wollte. Informationen zur Qualität der verschiedenen Tools suchte sie sich im Internet zusammen. Sie sah sich verschiedene Profile und verschiedene Erhebungsmethoden an und verglich die Kosten miteinander. Am Ende war sie sehr verwirrt: Was sie grundsätzlich immer vorfand, war sehr viel Textmaterial. Dieses wurde stets illustriert durch viele bunte Balken zu Kriterien, die häufig nicht schlüssig oder gar unverständlich auf sie wirkten. Was sie leider nicht fand, waren relevante Informationen dazu, mit welcher Messmethode welche Stärken in Bezug auf welchen Job abgebildet werden. Wie sollte sie nun entscheiden? Ein paar Tage später setzten wir uns zusammen. Ich versuchte, in wenigen Worten Ordnung in den Urwald von Angeboten zu bringen. Dazu warfen wir einen Blick auf die den Tools zugrundeliegenden Tests und Modelle. Grundsätzlich lassen sich drei Arten von Messmethoden unterscheiden.
1. Selbstanalyse- Tests
Ein großer Teil dessen, was als Eignungsdiagnostik im Angebot ist, lässt sich zusammenfassen als das, was viele von uns als „Brigitte Tests“ bezeichnen würden: Nette Fragen auf dem Niveau „Ihre Schwiegermutter, wie stehen Sie zu ihr?“ oder „Der Psychotest: Wie zielstrebig sind Sie?“. Der Testteilnehmer beantwortet durchsichtige Fragen und vermittelt dadurch sein eigenes Selbstbild. Das heißt, als Teilnehmer weiß ich genau, wonach gefragt wird und gebe dementsprechende Antworten. Bin ich selbstbewusst oder habe ich sogar ein überzogenes Selbstbewusstsein, dann werde ich mich in übersteigertem Maße positiv darstellen. Bin ich aber selbstkritisch, werde ich unter Umständen sehr deutlich meine Schwachpunkte darstellen und so vielleicht einen karikierenden Eindruck meiner selbst vermitteln. Die Testergebnisse zeigen also an, was ich von mir halte oder was ich möchte, das mein Gegenüber von mir hält. Diese Art der Selbsterkundungstests finden wir nicht nur in Zeitschriften wie Brigitte, Mens Health oder Playboy. Auch die klassischen Portale für so genannte fundierte Personaldiagnostik sind voll von Selbsterkundungsbögen, bei denen letztlich nur das Eigenbild der Person abgebildet, in komplexe Grafiken übersetzt und dann inklusive der blinden Flecken dargestellt wird.
2. Typologische Modelle
Unter den professionellen Personaldiagnostik- Angeboten findet man eine weitere Gruppe von Fragebögen/Testings, die so genannten „Typologischen Modelle“. Diese sind gewöhnlich an psychologische Modelle, zum Beispiel von Carl Gustav Jung, angelehnt. Solche psychologischen Modelle ordnen Menschen aufgrund gemeinsamer Merkmale bestimmten Gruppen zu. In den daran orientierten Diagnosetests werden Menschen auf einzelne, klar zu differenzierende Faktoren untersucht. Also zum Beispiel der Faktor „Nach außen oder innen gerichtetes Verhalten“: Ist ein Mensch eher extravertiert oder introvertiert? Der Faktor „Gewissenhaftigkeit“: Ist er/sie eher detailorientiert oder hat er/sie eher eine globale Sicht auf die Welt? Oder der Faktor „Offenheit für Neues“: Geht er/sie auf Neues zu oder bewahrt er/sie lieber, was vor Augen liegt? Man geht davon aus, dass diese Kategorien relevante Faktoren für Verhalten sind. Aufgrund der Ausprägungen in den Kategorien werden Menschen einem bestimmten Typus zugeordnet. Letztlich werden aus den Merkmalen „Typen“ generiert, in Reinform oder als „Mischtyp“. Menschen werden dann – oft unabhängig von Bildungsglevel, Alter oder geforderten Kompetenzen in einem Raster verortet. Im besten Falle sind die Ergebnisse objektiv und statitistisch signifikant. Die Aussagen sind aber immer nur relevant im Rahmen des jeweiligen psychologischen Modells. Ob zum Bespiel „Extraversion“ (nach aussen gerichtet zu sein) ein relevantes oder gar notwendiges Kriterium z.B. für einen Vertriebler ist, wird oft rein spekulativ und nicht empirisch angenommen – objektive Erhebung trifft spekulative Nutzung. Meine Gesprächspartnerin und ich konnten uns schnell einigen, dass die beiden eben genannten Ansätze – die Selbsterkundungsbögen und die typologischen Modelle – zwar Informationen lieferten, aber keine fundierte Entscheidungsgrundlage bieten konnten. Ihr Wunsch: „Ich möchte wissen, welchen Anforderungen die Kandidaten in der konkreten Arbeitssituation gewachsen sind.“ Tatsächlich gibt es Diagnostiktools, die sich an den konkreten Anforderungen, die eine Tätigkeit, ein Job mit sich bringt orientieren.
3. Anforderungsorientierte Diagnostik
In der anforderungsorientierten Eignungsdiagnostik geht man nicht davon aus, dass ein bestimmtes Typen-Modell den Rahmen gibt, zu beurteilen, was ein Mensch tatsächlich kann. Vielmehr legt man hier zugrunde, dass es Menschen gibt, die einen bestimmten Job, eine bestimmte Aufgabe gut können. Im anforderungsorientierten Diagnose- Verfahren wird ein Mensch also nicht einem Stereotyp zugeordnet, sondern seine Eignung für eine spezifische Tätigkeit tatsächlich identifiziert. Um dafür eine Bemessungsgrundlage zu schaffen, wurden Menschen, die in ihrem Berufsfeld bereits erfolgreich sind, befragt: Mit elektronischen Fragebögen wurden ihre Merkmale, Eigenarten und Besonderheiten ermittelt. Dabei waren die Fragebögen ihrem jeweiligen Berufsfeld angepasst, das heißt, ein Sachbearbeiter bekam einen anderen Fragebogen als ein Projektleiter, ein Auszubildender oder eine Führungskraft. So modellierte man das Antwortverhalten zu berufs- und jobrelevanten Themen dieser sehr erfolgreichen Personen. Das heißt, Tausende nachgewiesenermaßen erfolgreiche Menschen gaben Antworten, bei denen man im jeweiligen Berufsfeld große Gemeinsamkeiten fand. Diese Gemeinsamkeiten im Antwortverhalten des jeweiligen Berufes ergeben eine Bezugsgröße, ein Benchmarking für Potenziale. So bekommt zum Beispiel ein Kandidat für eine Stelle als Projektleiter für mittelgroße Projekte die gleichen Fragen wie zuvor die Benchmarking- Kandidaten dieses spezifischen Aufgabenfeldes. Man vergleicht nun das Antwortverhalten des Potenzialträgers, den man aktuell vor sich hat mit dem Antwortverhalten der Potentialträger, die ihren Erfolg bereits durch Führungs-Feedback, Zeugnisse und Business-Ergebnisse nachgewiesen haben. Gemessen werden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Antwortverhalten. Diese sind das Maß der Eignung: Man kann sich anhand der vielfältigen – an der Praxis entwickelten – Anforderungen und Dimensionen eines Berufes ein Bild davon machen, ob ein Kandidat die entsprechenden Kompetenzen mitbringt. Dabei kann man sehr differenziert die einzelnen Kriterien betrachten. Auf diese Weise gewinnt ein HR- Mensch tatsächlich eine fundierte Grundlage für verantwortungsvolle Personal- Entscheidungen.
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