Die Verbesserung der Personalauswahl durch SelfAssessment. Welche Arten von Selbsttests gibt es? Ein Modell.
Der Wettbewerb um Talente, oder etwas martialischer „War for Talent“, nimmt zu. Doch im Gegensatz zum Boom der New Economy Anfang der 2000er melden dabei viele Unternehmen Probleme bei der Besetzung aller möglichen Berufe und Qualifikationsstufen, d. h. das Problem beschränkt sich nicht mehr nur auf Hochschulabsolventen oder spezielle Fachrichtungen wie IT-Fachleute oder Ingenieure. Der eigentliche Grund hierfür ist neben konjunkturellen Bewegungen vor allem demografischer Natur. Die sich nun in den Ruhestand begebenden geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer (1955 bis 1967) hinterlassen zahlreiche Arbeitsplätze, die von den geburtenschwächeren Nachfolgegenerationen nicht mehr besetzt werden können. Bis zum Jahr 2030 werden dem deutschen Arbeitsmarkt so laut Berechnungen des IAB ca. sechs (!) Millionen Arbeitskräfte verloren gehen. Neben anderen Ausgleichseffekten (z.B. stärkere Einbeziehung älterer Arbeitskräfte, Frauen oder Migranten in das Erwerbsleben) wird diese Knappheit vor allem zu einem führen: Die Kosten für gutes Personal werden steigen. Und das bezieht sich nicht nur darauf, zu welchen Konditionen jemand bei einem Unternehmen arbeiten möchte, sondern auch bereits auf die Suche und das „Werben“ um Mitarbeiter. Firmen werden sich hierbei nämlich immer stärker in der Rolle des „Bewerbenden“ wiederfinden, der sich allerlei einfallen lassen muss, um die umworbene Klientel von sich zu überzeugen. Höhere monetäre Anreize (Gehälter) sind das eine, attraktivere Packages (Work-Life-Balance, betriebliche Gesundheitsangebote, attraktive Standorte, abwechslungsreiche Tätigkeiten etc.) das andere. Egal was, eines ist klar. Es wird Geld kosten.
Doch was bedeutet das für Employer Branding und Recruiting?
Nun, zuallererst heißt das, dass die relativ unsinnige Trennung zwischen beiden „Disziplinen“, die es vielerorts noch gibt, verschwinden wird. Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting sind vielleicht nicht dasselbe, aber doch untrennbar miteinander verbunden. Alle drei Bereiche zielen darauf ab, möglichst die „richtigen“ Personen in die für sie „richtigen“ Jobs zu bringen. Wie das Taylor-Russell-Modell auf wunderbare Weise aufzeigt, hängt die Qualität der Auswahlentscheidung dabei nicht nur von der Güte der eingesetzten Auswahlinstrumente (Tests, Interviews, Assessment Center etc.) ab, sondern auch – und insbesondere – von der vorher stattfindenden Selbstselektion. Ganz einfach: Je besser die Selbstselektion, desto besser die Personalauswahl. Gelingt es einem Unternehmen etwa durch geschicktes Employer Branding / Personalmarketing, nur „passende“ Kandidaten zu einer Bewerbung zu bewegen, könnte das Unternehmen theoretisch „blind“ jeden dieser Bewerber nehmen. Wo nur passende Kandidaten im Topf sind, kann man auch nicht mehr falsch auswählen. Die Personalauswahl wäre in diesem Fall komplett in die Selbstauswahl verlagert worden. Umgekehrt gilt dieser Zusammenhang allerdings leider auch: Vernachlässigt ein Unternehmen es nämlich dafür zu sorgen, dass sich überhaupt die „Richtigen“ bewerben, so wird die Auswahl auch nie zu einem guten Ergebnis führen. Wo kein passender Kandidat im Topf ist, hilft auch der valideste Test oder das beste Assessment Center der Welt nicht mehr, um einen zu finden. Zugegeben: Diese beiden Extrema dürften in der Realität die Ausnahme sein, aber es zeigt sich, dass bereits graduelle Verbesserungen bei der Selbstauswahl die Qualität der Auswahlentscheidung am Ende deutlich verbessern können. Wer zukünftig eine Chance haben will, in hinreichender Anzahl „passende“ Kandidaten zu rekrutieren, muss verstehen, dass Personalauswahl beides ist: Fremdauswahl durch das Unternehmen („Recruiting“) UND Selbstauswahl durch den oder die Kandidaten (beeinflusst durch „Employer Branding / Personalmarketing“).
SelfAssessments verbessern die Selbstauswahl
Ein hervorragendes Instrument zur Verbesserung der Selbstselektion sind sog. SelfAssessment- Verfahren, also Instrumente, mit deren Hilfe ein Interessent herausfinden kann, ob das Unternehmen oder der Job überhaupt zu ihm passen, er diesen „kann“ oder darauf Lust hat. Nicht grundlos hat die schwedische Marktforschungsfirma Potentialpark in ihrer jährlichen TeWEB Studie das Vorhandensein von SelfAssessments zu einem wichtigen Kriterium für die Qualitätsbeurteilung von Karriere-Websites erhoben („Recommendations based on degree or personality“). Es gibt inzwischen zahlreiche Beispiele für realisierte und mehr oder weniger gelungene SelfAssessments, sowohl von Unternehmen als auch von Hochschulen (hier zu Zwecken der Studienorientierung). Die wahrscheinlich umfänglichste kommentierte und bebilderte Übersicht findet sich bei uns im Recrutainment Blog
Welche Arten von SelfAssessments gibt es? Ein Modell.
Allen SelfAssessments ist die Zielsetzung der Verbesserung der Selbstauswahl gemein, aber es gibt dennoch systematische Unterschiede. SelfAssessments lassen sich im Hinblick auf drei Dimensionen systematisch unterscheiden:
1. Hinsichtlich ihrer Zielsetzung
2. bezüglich ihres methodischen Ansatzes und
3. nach ihrer „Mächtigkeit“, also dem Umfang der Applikation.
Dimension 1: Die Zielsetzung
Bzgl. der Zielsetzung gibt es erstens grundsätzlich solche SelfAssessments, deren vorrangiger Zweck es ist, ein oder mehrere Berufsbild(er) erlebbar zu machen bzw. darüber zu informieren. Wenngleich auch hier zumeist ein Unternehmen oder eine Hochschule als Absender in Erscheinung tritt, geht es in vor allem darum, die Besonderheiten des Jobs, bzw. der Tätigkeit zu transportieren und so einem möglichen Kandidaten die Frage zu beantworten, ob diese(r) etwas für ihn sein könnte („Person-Job-Fit“). Eine andere Zielsetzung verfolgen hingegen solche SelfAssessments, die dem Nutzer eine Antwort auf die Frage liefern, ob er zu einem bestimmten Arbeitgeber passt („Person-Organization-Fit“). Folglich stehen hier oft grundlegende Aspekte wie Unternehmenswerte oder unternehmensindividuelle Kompetenzmodelle im Vordergrund.
Dimension 2: Die Methodik
Hinsichtlich der eingesetzten Methodik gibt es erstens solche SelfAssessments, die eher „eignungsdiagnostisch“ im Sinne eines SelbstTESTS konstruiert sind. Hier steht im Kern zumeist eine Art Fragenkatalog, der die zu testenden Konstrukte operationalisiert. Im Hintergrund laufen diese Antworten gegen einen Auswertungsalgorithmus, der die Antworten bewertet und am Ende zu einem Ergebnis verdichtet, was als Feedback an den Nutzer kommuniziert wird. Davon zu unterscheiden sind SelfAssessments, die eher im Sinne eines Spiels oder einer Simulation zu kommunizierende Aspekte „erlebbar“ machen. Hier heißt es sinnbildlich: „Schön, dass Sie da sind, dann übernehmen Sie mal...“. Bei dieser Art „Serious Games“ lassen sich die Aufgaben zwar auch „unterschiedlich gut“ lösen, so dass der Nutzer in der Regel auch ein Feedback erhält, doch liegt der eigentliche Hauptnutzen weniger im Feedback als vielmehr im Spiel selbst. „Der Weg als Ziel“ hilft die Frage zu beantworten, ob man „zu so etwas Lust hat“ oder „so etwas kann“. Solche SelfAssessments sind in der Regel aufwendiger (sowohl in der Erstellung als auch für den Nutzer), schaffen dafür aber auch Einblicke in einer anderen Qualität.
Dimension 3: Der Umfang
Die dritte Unterscheidung von SelfAssessment Verfahren lässt sich hinsichtlich ihrer „Mächtigkeit“ bzw. ihres Umfangs vornehmen. Die sinnvollste Operationalisierung dieses Merkmals dürfte die Nutzungsdauer sein, also die vom Nutzer aufzuwendende Zeit, um das Instrument entweder komplett oder zumindest einen „aussagekräftigen“ Zeitraum lang zu nutzen. Die weiter oben dargestellte Grafik zeigt diesen Möglichkeitsraum von SelfAssessments einmal auf. Die jeweilige Zielsetzung und die verwendete Methodik spannen dabei einen zweidimensionalen Raum auf, in dem sich SelfAssessments verorten lassen. Die Mächtigkeit des Instruments kann dabei durch die Größe des jeweiligen Kreises als dritte Dimension eingefügt werden. Hierbei bietet sich eine Unterteilung in die Kategorien „weniger als 10 Minuten“, „10 bis 30 Minuten“, „30 bis 60 Minuten“ und „mehr als 1 Stunde“ an. Nachfolgend wurden SelfAssessments verschiedener Firmen und Einrichtungen in diesen Möglichkeitsraum eingefügt. Es zeigt sich dabei deutlich, dass bei SelfAssessments, deren vorrangige Zielsetzung die Kommunikation von Berufsbildern ist. zumeist auf spielerische, simulative Methodiken zurückgegriffen wird (oberer linker Quadrant). Diese Applikationen sind zumeist auch umfangreicher. Bei der Überprüfung des Person-Organization-Fit, also der Passungsüberprüfung zu einem Unternehmen als Arbeitgeber, wird hingegen oft eher diagnostisch vorgegangen. Diese SelfAssessments finden sich im vierten Quadranten unten rechts. Die in der Grafik genannten Beispiele finden sich entweder ausführlich im Recrutainment Blog beschrieben und kommentiert oder können über die weiter aufgelisteten Links eingesehen werden.
In der Praxis sind die Grenzen bzgl. Zielsetzung und Methodik fließend. Auch ist die Operationalisierung der Mächtigkeit eines Tools über die Verweildauer sicher nur eine Näherung, hängt diese doch letztlich auch von individuellen Vorlieben wie Lesegeschwindigkeit oder Aufmerksamkeit ab. Letztlich sind alle Ansätze von SelfAssessments genau so individuell wie die Arbeitgebermarken, für die sie stehen.
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