Viele Unternehmen setzen in ihren Auswahlverfahren auf Intelligenztests. Dabei scheinen die Vorteile offensichtlich. Ein Verfahren, welches bestimmte Aspekte der Intelligenz von Bewerbern objektiv messen kann, dabei wenig zeitaufwändig ist und dazu noch vergleichbare Ergebnisse liefert - das klingt verlockend. Bewerber hingegen sehen ein Auswahlverfahren, indem Intelligenztests verwendet werden, oftmals kritisch. Sie haben Angst vor dieser Art von Test oder fühlen sich gar angegriffen und missverstanden. Dabei haben fachgerecht angewandte Intelligenztests das Potenzial, die Personalauswahl zu erleichtern und auch dem Bewerber selbst eine Rückmeldung über seine eigenen Stärken und Schwächen zu geben.
Welche Intelligenztests eignen sich zur Bewerberauswahl?
Die Intelligenz zu messen ist nicht so einfach wie es scheint und viele der zahlreichen angebotenen Intelligenztests können keine genauen und aussagekräftigen Ergebnisse liefern. Schon allein bei der Definition von Intelligenz scheiden sich die Geister. Es existieren viele verschiedene Modelle der Intelligenz und bislang existiert keine einheitliche Definition derselben (1).
Die aktuell verwendeten Intelligenztests gehen auf den französischen Psychologen Alfred Binet zurück, der erstmals standardisierte Tests zur Messung der Intelligenz bei Schulkindern anwendete und das sogenannte Intelligenzalter (IA) errechnete. Im Laufe der Zeit wurden die Messmethoden Binets von verschiedenen Wissenschaftlern verbessert. So entwickelte der deutsche Psychologe Wilhelm Stern 1914 die Maßeinheit des noch heute verwendeten Intelligenzquotienten (IQ). Aktuell werden in erster Linie zwei Gruppen von IQ-Tests eingesetzt - die Wechsler-Skalen und die Stanford-Binet-Skalen (2).
1923 verkündete der amerikanische Experimentalpsychologe Edwin Boring: "Intelligenz ist was Intelligenztests messen" (1). Sind also Intelligenztests so unfehlbar und genau?
Tatsächlich sind einige Dinge bei der Anwendung von Intelligenztests zu beachten.
Zum einen existieren diverse Störvariablen, welche die Gültigkeit oder Validität von gängigen Intelligenztests vermindern können. Solche Störvariablen stellen unter anderem die Motivation oder die Vorbereitung der Testteilnehmer dar. Diese Störvariablen sollten bei der Beurteilung der Testergebnisse unbedingt bedacht werden (3).
Zum anderen ist es wichtig, welche Art von Intelligenztest für welchen Zweck eingesetzt wird. Die Anwendung des Intelligenztests verpflichtet auch dazu, den für die Anforderungen am besten geeigneten Test auszuwählen. Gerade für die Bewerberauswahl sollte grundsätzlich immer der Berufsbezug des eingesetzten Intelligenztests eine Rolle spielen. Es existiert eine Vielzahl an unterschiedlichen Intelligenztests, die je nach Intelligenzmodell der Autoren, verschiedene Aspekte der menschlichen Intelligenz messen sollen. Einige Tests sind dabei eher konzipiert die allgemeine Intelligenz zu messen, wohingegen andere Tests eher spezielle Aspekte der Intelligenz erfassen sollen. Für die adäquate Anwendung von IQ-Tests können Fachleute, wie beispielsweise spezialisierte Psychologen, hilfreich sein (4).
Das Angebot an frei erhältlichen IQ-Tests im Internet ist riesig und unüberschaubar. Hier stellt sich für viele Unternehmen die Frage, ob diese kostenlosen Tests eine echte Alternative zu professionellen IQ-Tests, wie beispielsweise dem IST2000R oder dem Hamburger-Wechsler Intelligenztest darstellen.
Ein großes Problem bei den meisten im Internet angebotenen Tests ist die Normgruppe, also die Gesamtheit der Auswertungen, mit denen die Ergebnisse der jeweiligen Testperson verglichen werden. Diese Daten sind bei kostenlosen Tests oftmals veraltet oder die Ergebnisse werden gar ausschließlich mit anderen Testnutzern im Internet verglichen. Also kurz zusammengefasst, alles andere als repräsentativ. Dadurch sinkt die Reliabilität oder auch Messgenauigkeit der angebotenen IQ Tests deutlich. So muss beispielsweise beachtet werden, dass IQ-Testverfahren regelmäßig nachgeeicht werden sollten, da sich die durchschnittliche Intelligenz mit der Zeit verändert. Diese Beobachtung wird auch als Flynn-Effekt bezeichnet und beschreibt die Tatsache, dass im letzten Jahrhundert in den Industrienationen eine Zunahme des durchschnittlichen IQs beobachtet wurde, die in den letzten Jahren allerdings wieder zurück zu gehen scheint (5).
Wann ist der Einsatz von Intelligenztests zur Bewerberauswahl sinnvoll?
Der Bedarf an kostengünstigen, zeitsparenden und dabei aber möglichst aussagekräftigen Verfahren zur Personalauswahl und Eignungsdiagnostik bei Unternehmen ist groß. Dabei stellt sich die Frage, welche der unzähligen angebotenen Verfahren tatsächlich eine valide Aussage über den späteren beruflichen Erfolg der Bewerber treffen können und damit dem Unternehmen einen verlässlichen Anhaltspunkt für die Personalauswahl liefern. Viele der angebotenen Verfahren erscheinen auf den ersten Blick - und tatsächlich auch oftmals auf den zweiten Blick - eher zweifelhaft. Hier sind etwa Verfahren wie die Graphologie zu nennen, die wie vermutet, auch nach einer neuen Metaanalyse keine Aussagekraft bezüglich der späteren Arbeitsleistung aufweist (6).
Auch die Validität von Intelligenztests bezüglich der Vorhersage des späteren beruflichen Erfolges ist immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Die bekanntesten und immer wieder zitierten Metaanalysen von Schmidt und Hunter geben recht solide Korrelationen zwischen dem IQ und des zu erwartenden beruflichen Erfolges von etwa 0,5 an (7). Dieses Ergebnis entspricht in etwa der Korrelation von IQ-Tests und Schulnoten (8).
In der Vergangenheit waren die Metaanalysen von Schmidt und Huter und ähnliche Studien aber immer wieder in die Kritik geraten. Die in diesen Arbeiten verwendeten Daten stammen zum größten Teil aus den Jahren vor 1970. Außerdem wurde häufig Kritik an den angewendeten Korrekturmethoden der statistischen Analysen formuliert (9).
Tatsächlich konnte aber auch eine neue Metaanalyse aus dem Jahre 2016 von Schmidt, Oh und Shaffer die Validität von IQ Tests bezüglich der Vorhersage des beruflichen Erfolges bestätigen (6). Diese neue Metaanalyse hat dabei verschiedene Auswahlverfahren untersucht und kommt zu dem Schluss, dass kognitive Leistungstests, wie eben IQ-Tests, die höchste Aussagekraft für die voraussichtliche Leistung im Beruf aufweisen, mit einem Korrelationskoeffizienten von 0,65. Darüber hinaus schnitten strukturierte und überraschenderweise auch unstrukturierte Interviews mit jeweils einer Korrelation von 0,58 sowie Telefoninterviews und Integritätstests mit jeweils 0,46 gut ab.
Verschiedene Auswahlprozesse können, zusätzlich zu Intelligenztests angewandt, dabei die Validität dieser sogar noch steigern. So können zusätzliche Integritätstests die Validität von IQ-Tests um 20% steigern, zusätzliche strukturierte Interviews um 18% und unstrukturierte Interviews um 13% (6). Erstaunlicherweise zeigen Assessment-Center hier keinen nennenswerten Zusatznutzen (6).
Insgesamt betrachtet sind also Intelligenztests aussagekräftige und valide Tools, sowohl für die Eignungsdiagnostik als auch die letztendliche Personalauswahl.
Allerdings sollte beachtet werden, dass die prädiktive Validität von IQ-Tests bezüglich der Leistung im Beruf durchaus auch von anderen Faktoren abhängig ist.
Zum einen steigt die Validität von Intelligenztests mit steigender Komplexität der untersuchten Berufe, wohingegen Intelligenztests bei Berufen mit einfacheren Tätigkeiten kaum aussagekräftig sind (10).
Zum anderen scheint auch die Motivation, vor allem bei nichtakademischen Berufen, ein entscheidender Störfaktor zu sein, der die Validität von IQ-Tests vermindern kann (3).
Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, bei welchen Zielgruppen der Einsatz von Intelligenztests zur Personalauswahl den größten Benefit zeigt und welche Zielgruppen vielleicht durch andere Auswahlverfahren besser erfasst werden können.
Eine mögliche Erklärung für die Korrelation von Ergebnissen in Intelligenztests und beruflichen Erfolg ist, dass die allgemeinen mentalen Fähigkeiten, die der Intelligenztest ja erfassen soll, die Geschwindigkeit der Aneignung von arbeitsspezifischem Wissen und der beruflichen Komplexität bestimmen (12). Daher scheint der Einsatz von Intelligenztests in erster Linie bei der Auswahl von Schulabgängern, Hochschulabsolventen, Berufseinsteigern oder aber in Berufen, die hohe Ansprüche an die mentalen Fähigkeiten der Bewerber stellen, sinnvoll. Für die Personalauswahl bei Arbeitsstellen, welche ein hohes Maß an bereits bestehendem fachspezifischem Wissen und beruflicher Erfahrung fordern, sind einfache Intelligenztests allein wohl eher nicht ausreichend. Sie können die berufliche Erfahrung und bereits bestehende Expertise nicht erfassen. In diesen Fällen scheint zumindest die Kombination mit anderen Auswahlverfahren, wie beispielsweise ein klassisches Interview oder vielleicht sogar eine ausführliche Fachdiskussion, sinnvoller.
Was denken Bewerber über Intelligenztests?
Bewerber stehen Intelligenztests als Auswahlverfahren oft kritisch gegenüber. Viele, vor allem Berufserfahrene, erwarten eher arbeitsbezogene Fragen und Inhalte in den Auswahlverfahren. Auch Bewerber, die sich gar nicht aus Eigeninitiative beworben haben, sondern angeworben wurden, fühlen sich häufig durch Intelligenztests als Eignungsdiagnostik vor den Kopf gestoßen. Demgegenüber werden Schulabgänger oder Hochschulabsolventen möglicherweise weniger Probleme mit der Bearbeitung von IQ-Tests haben, was auch daran liegen mag, dass diese Zielgruppen an solche Testsituationen gewöhnt sind und gängige IQ-Tests häufig Ähnlichkeiten zu Prüfungen im Bildungssystem aufweisen (9). Berufserfahrene sowie erfahrene Anwärter auf leitende Positionen weisen oftmals eine langjährige Erfahrung außerhalb des Bildungssystems im beruflichen Alltag auf und sind folglich nicht mehr geübt in solchen Testsituationen.
Insgesamt bedeuten aber kognitive Tests für alle Bewerber meist belastende Stresssituationen, in denen sie oftmals unerwartet Leistungen abrufen müssen. Gerade der Umgang mit einer solchen unerwarteten Leistungsanforderung kann wiederum dem Unternehmen helfen, die richtigen Bewerber für die angebotenen Stellen herauszufiltern.
Die Unternehmen sollten beim Einsatz von Intelligenztests zur Personalauswahl und Eignungsdiagnostik dabei auf faire, ausgewogene Intelligenztests achten. Selbstredend sollten arbeitsplatzbezogene Anforderungen gemessen und den Bewerbern die Situation sowie die Rahmenbedingungen offen kommuniziert werden. Dann können letztlich auch die Bewerber selbst von solchen Tests profitieren und anhand der Testergebnisse ihre Stärken und Schwächen besser analysieren und einordnen.
Zusammenfassend hat die Anwendung von Intelligenztests zur Bewerberauswahl auch nach neuer Studienlage eine verlässliche, prädiktive Aussagekraft bezüglich der beruflichen Leistung. Bei der Anwendung solcher IQ-Tests als Auswahlverfahren sollten aber immer die Qualität, Ausgewogenheit und Angemessenheit des verwendeten Tests, die Anforderungen an die Zielgruppe sowie mögliche Störvariablen, wie beispielsweise die Motivation oder die gezielte Vorbereitung der Bewerber auf die Tests beachtet und mit ein kalkuliert werden. Die Validität von Intelligenztests kann dabei durch die Hinzunahme weiterer Auswahlverfahren, wie etwa Integritätstests oder Interviews, weiter erhöht werden. Unter Beachtung dieser Voraussetzungen sind Intelligenztests geeignete Verfahren um eine unkomplizierte, verlässliche und valide Personalauswahl sowie Personalentwicklung zu gewährleisten.
Quellen
(1) Stern, E. & Neubauer, A. (2016). Intelligenz: kein Mythos, sondern Realität. Psychologische Rundschau, 67, 15 - 27
(2) Ackerman, P. L. (2017). Adult intelligence: The construct and the criterion problem. Perspectives on Psychological Science, 12, 987-998.
(3) Duckworth, Angela Lee et al. "Role of Test Motivation in Intelligence Testing." Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 108.19 (2011): 7716-7720.
(4) https://www.sueddeutsche.de/wissen/inelligenz-was-taugen-iq-tests-1.952376
(5) Pietschnig, J., Voracek, M., 2015. One century of global IQ gains. Perspect. Psychol. Sci. 10 (3), 282-306.
(6) Schmidt, Frank. (2016). The Validity and Utility of Selection Methods in Personnel Psychology: Practical and Theoretical Implications of 100 Years of Research Findings.
(7) Schmidt, F.L.,&Hunter,J.E. (1998).The validity and utility of selection methods in personnel psychology: Practical and theoretical implicationsof85yearsofresearchfindings.
(8) Mackintosh, N.J.(2011).Intelligence and ist measurement: 1. History of theories and measurement of intelligence. In R. J. Sternberg &S.B.Kaufman(Eds.), The Cambridge handbook of intelligence (pp. 1-19). Cambridge, England: Cambridge University Press.
(9) Richardson, Ken, and Sarah H. Norgate. "Does IQ Really Predict Job Performance?" Applied Developmental Science 19.3 (2015): 153-169.
(10) Salgado, J. F., Anderson, N., Moscoso, S., Bertua, C., de Fruyt, F. & Rolland, J.-P. (2003b). A meta-analytic study of general mental ability validity for different occupations in the european community. Journal of Applied Psychology, 88, 1068-1081.
(11) Schmidt, F.L.,&Hunter, J.E.(2004).General mental ability in the world of work: Occupational attainment and job performance. Journal of Personality and Social Psychology, 86, 162-173.