Möglichkeiten und Grenzen des Coachings werden selten realistisch eingeschätzt. Wo fängt es an, wo hört es auf? Dank der unübersichtlichen und unbegrenzten Formen und Begriffsverwurstungen ist natürlich Tür und Tor für mediengerechtes Coach-Bashing geöffnet.
Als Coachausbilder obliegt mir die Verantwortung, Kunden achtsam und klar Grenzen und Möglichkeiten der Methode Coaching zu vermitteln. Dies braucht es selbstverständlich auch im Berufsalltag jenseits der Ausbildung. Insbesondere dann, wenn entweder Kunden einladen, über Grenzen zu gehen, wenn sie zu hohe Erwartungen haben oder die Gäule mit einem selbst als Dienstleister durchzugehen drohen.
Coaching ist ein großer Markt geworden, in dem sich allerlei Qualität wiederfindet.
Dies ist offenbar aktuell Anlass bei Spiegel Online, sich dem Markt ausgesprochen kritisch zu widmen. Die Artikel sind auch hier im Forum bekannt und diskutiert worden. Der typische Reflex könnte nun natürlich Abwehr sein. Aber es ist wie so oft: die Artikel weisen auf beide Seiten einer Medaille. Schaue ich mich in der Coaching- und Coachingausbildungslandschaft um, treibt mich auch selbst die Frage, woher mitunter die Qualifizierung kommt. Coaching ist, was jeder dafür hält und für manch einen scheint es ein gutes Geschäft zu sein, sich die Deutungshoheit zu verpassen und das dann zu verkaufen. Wer bislang eher mit Strukturen, Prozessen, Zahlen, Verfahren usw. beschäftigt war und plötzlich sein Interesse an der Psychologie entdeckt, muss sich schon fragen, wie er nicht nur die Wissens-, sondern v. a. die Selbsterfahrungs und -reflexionslücke schließen will, die ihm andere Professionen voraus haben. Denn Coaching kann auf sehr mächtige Methoden zurückgreifen, die ihren Ursprung häufig in der therapeutischen Arbeit haben. Damit achtsam und sensibel umzugehen, lernt man nicht in der Käseglocke. Jeder Coach frage sich selbst: Wie oft sitze ich eigentlich selbst in Coaching/Supervision und reflektiere mein Tun? Dies wäre abseits einer Ausbildung mit entsprechender Tiefe ein sehr probates Mittel für den Alltag. V. a. muss mir als Coach aber stets meine Rolle bewusst sein. Dies ist z. B. einer der Gründe, warum wir Führungskräften die Teilnahme an unserer Ausbildung nicht empfehlen. Coaching hat im Führungsalltag im Kern nichts zu suchen. Gerade die Grenze zu therapeutischen Themen und Momenten erfährt niemand im Lehrbuch. Sie wird meist fließend überschritten, insbesondere von denen, die noch nie im therapeutischen Setting gearbeitet haben (und das ist was anderes als selbst mal in Therapie gesessen zu haben). Soll es professionelles Coaching sein, gilt es, sein Ziel nicht aus dem Blick zu verlieren: für ein konkretes Anliegen konkrete Lösungswege zu erarbeiten. Oder anders: statt Warum? nach Wozu und Wie? zu fragen. Bislang habe ich bis auf wenige Ausnahmen in meiner praktischen Arbeit psychisch gesunde Menschen als Kunden kennen gelernt. Natürlich gibt es bei uns allen Themen, für die sich die Couch lohnen würde – wenn ich dies bieten wollte, hätte ich aber einen anderen Berufsweg eingeschlagen. Menschen fit zu machen für ihren beruflichen Alltag und dies im Rahmen ihres persönlichen wie umgebenden Systems, ist der Auftrag. Wer dabei nicht nur an Symptomen, sondern an Haltung arbeitet, nimmt natürlich Einfluss auf einen gesünderen Umgang mit sich selbst und seinen Ressourcen. Das ist aber keine Therapie (=Behandlung von Kranken), sondern Prozessbegleitung im Wachstum.
Coachingarbeit in ihrer Methodik anzuzweifeln, ist nicht schwer
Gutes Coaching arbeitet nicht allein mit dem bewussten, sondern v. a. mit dem emotionalen Teil unseres Gehirns, in dem die wahren Entscheidungen getroffen werden. Emotionen können Ratio leiten, jedoch nicht umgekehrt. Echte Veränderung entsteht demnach nicht aus Ratio, sondern aus Emotionen. Die gilt es zu wecken. Wer nur den Kopf und nicht das Herz seines Kunden erreicht, wird selten dauerhafte Veränderung sehen – oder als Anpassungsleistung zu einem hohen inneren Preis (der von anderen auch noch als Dressur oder Schauspiel wahrgenommen wird). Stimmt die Haltung, weiß ich aber mit den Methoden umzugehen, weiß um den Unterschied, ob ich sie als Hilfe oder Waffe einsetze. Und für manche Menschen ist es hilfreich, nicht im Verstand, sondern emotional zu verstehen, ein Bild statt einer Analyse zu haben, das Unbewusste zu verstehen, um Lösungen zu entwickeln, sich spirituell zu öffnen, um sich ganzheitlicher zu erleben. Die Gefahr lauert dort, wo etwas absolut gestellt wird, immer so sein muss, zum Dogma wird. Nicht alles passt zu jedem und daher sollte jeder Coach wissen, was er wem bieten kann und will – statt zum Bauchladen für jedermann zu werden. Die angesprochenen Artikel reiten auf dem Entweder-oder-Blick. Wer sowohl-als-auch denkt, wird sehen, dass es
- im Markt unterschiedliche Definitionen gibt, was Coaching in Haltung und Methode ist
- dazu eine Vielzahl hochgradig unterschiedlich qualifizierter Anbieter gibt
- Methoden gibt, die nutzen UND schaden können
- therapeutische Methoden und Fragen achtsam eingesetzt werden können, aber ihre Grenze im beruflichen Umfeld spätestens dann haben, wenn sie vom Persönlichen ins Private wechseln
- es Methoden gibt, die Transferhilfe benötigen, beispielsweise Arbeit mit Schauspielern, Aufstellungen, Pferden usw.
- Auftraggeber gibt, die ein Coachingangebot unterschiedlich gut bewerten können oder wollen
- schwarze, graue, weiße und bunte Schafe gibt und es anstrengend ist, das Richtige für die eigenen Anliegen, Themen und Ziele zu finden
- Probleme in Unternehmen dank bestenfalls mittelmäßiger Führung gibt. Hilfe bieten hier Angebote, die mit hohem Transfer aus der Praxis für die Praxis lernen lassen und/oder am unternehmenskulturellen bzw. systemischen Kontext so mitwirken, das Menschen in ihrer Zusammenarbeit ein Klima schaffen, in dem sie mit Leichtigkeit echte Werte schaffen wollen.
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